Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
hatte, weil Cole ein so lieber Junge war. Jones erzählte, Paula habe gemerkt, wie sehr Cole leide, wie sehr er seine Mutter vermisse.
»Es ging mir nicht nur darum, Cole loszulassen«, flüsterte Robin und wischte sich mit der Serviette die Tränen ab.
»Sie hatten Angst vor Kevin.«
»Ja.«
»Hat er Sie verletzt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Er wurde nie handgreiflich. Manchmal wirkt sein Blick so leer, es ist, als würde er alles tun, um seinen Willen durchzusetzen. Als er in meiner Wohnung war, hatte ich Todesangst. Ich kann es nicht erklären. Er hat mir nicht gedroht, hat mich nicht angefasst.«
Jones wusste, dass nichts furchterregender war als dieser leere Blick. Schaut man einem Soziopathen ins Gesicht, sieht man entweder eine Maske oder in einen Abgrund. Das ist das Erschreckende daran, diese fehlende Wärme; es ist, als wäre da nichts Menschliches mehr.
»Paula hatte ebenfalls Angst vor ihm«, sagte er.
»Und jetzt ist sie verschwunden«, sagte sie.
Jones spürte den alten Zorn in sich aufsteigen, der so schwierig unter Kontrolle zu bekommen war. Eigentlich war es an der Zeit, Kevin Carr einen kleinen Besuch abzustatten.
»Wie lange können Sie hier noch bleiben?«, fragte er.
»Keine Ahnung.« Wieder trocknete sie sich die Augen. »Ich bin nur noch da, weil Patty so kulant ist.«
»Tja, der Service hier ist exzellent«, sagte Jones. In seiner Brieftasche steckten hundert Dollar – sein wöchentliches »Taschengeld«. Er steckte sie Robin zu. Maggie würde sich ärgern, sich aber kaum darüber wundern. Außerdem hätte sie dasselbe getan.
»Das kann ich nicht annehmen«, protestierte Robin und schob den Geldschein zurück. Aber Jones war schon aufgestanden.
»Bleiben Sie hier, bis ich anrufe. Das dürfte für ein paar Nächte reichen, oder?«
Traurig betrachtete sie das Geld.
»Danke«, sagte sie, »vielen herzlichen Dank.«
»Ich melde mich«, sagte Jones und ging zur Tür.
»Werden Sie mir meinen Jungen wiederbringen?«
Er gab ungern Versprechen ab. Die Welt verschwor sich gegen die heldenhaften Pläne, die er so oft hegte.
»Ich werde es versuchen.«
Beide wussten, dass er nicht mehr tun konnte.
DREISSIG
Z um Glück schliefen die Kinder. Es war noch nicht spät, gerade erst halb acht. Aber sie waren erschöpft. Claire lag in ihrem Reisebett in einer Ecke des Zimmers, Cameron streckte sich bäuchlings neben ihr auf dem Doppelbett aus. Das Zimmer war in Ordnung. Nett und sauber. Sie hatte die Vorhänge zugezogen und das Licht gedimmt, lag auf dem Bett und starrte an die Zimmerdecke. Ihre Eltern wollten, dass sie hierblieb. Aber das ging nicht. Sie hatte die Kinder mitgenommen; rechtlich gesehen war sie eine Kidnapperin. Sie hatte ihr Heim verlassen. Sie konnte Kevin keine körperliche Gewalt nachweisen. Tatsächlich hatte er von ihrem letzten Streit die größeren Blessuren davongetragen. Er würde behaupten, dass sie ihn angegriffen und die Kinder entführt hätte. So gesehen hatte er recht. Sie hatte die Pistole mitgenommen.
Möglicherweise hatte er die Polizei eingeschaltet und sie war Paula auf den Fersen. Sie fühlte sich müde und abgestumpft. Nachts, wenn die Kinder schliefen, heulte sie sich die Augen aus. Tagsüber war es am schwierigsten, sie tingelten von einem Restaurant zum nächsten, hielten nach Spielplätzen Ausschau, damit Cameron sich austoben konnte. Sie stillte Claire, während Cameron jammernd auf dem Rücksitz saß. Wo ist Dad? Ich will in den Kindergarten. Das ist der blödeste Urlaub aller Zeiten. Warum fahren wie nicht wieder nach Disney World?
Heute Abend hatte sie keine Tränen mehr. Sie musste stark sein, einen Plan ersinnen. Sie hatte eine Freundin in Maine, mit der sie früher im College ein Zimmer geteilt hatte. Sie hatten sich letztes Jahr über Facebook wiedergefunden. Komm vorbei, wenn du mal in der Gegend bist! Paula fragte sich, wie ehrlich die Einladung gemeint war.
Kevin war auf dem blauen Laster ausgerutscht und gestürzt. Die Pistole war durch die Luft gesegelt und sicher auf dem Sofa gelandet. Sie hatte sie an sich nehmen wollen, aber Kevin hatte sie beim Knöchel gepackt und zu Boden geworfen, und sie war schmerzhaft auf dem rechten Knie gelandet. Sie hörte ein lautes Knacken, und der Schmerz war ihr ins Bein gefahren. Kevin hatte sie niedergerungen, sich rittlings auf sie gesetzt und ihre Arme zu Boden gedrückt.
»Paula, lass uns reden«, sagte er keuchend. Sein Gesicht war eine schrecklich verzerrte Fratze.
Sie drehte den Kopf
Weitere Kostenlose Bücher