Gnadenlos (Sara Cooper)
Jüngste und hatte bereits eine erstaunliche Karriere bei der Polizei gemacht. „Was tun wir hier, Preston? Wieder so eine bekloppte Idee von Rodriguez. Miller wird uns umbringen, wenn er Wind davon bekommt.“ Shawn blinzelte in die Mittagsonne. Es passte ihm nicht, dass sie hier waren, und er gab sich keine Mühe, das zu verbergen. Sie hatten ihrem Chef Lieutenant Miller vorgelogen, Lilly hätte eine familiäre Sache zu klären und bräuchte seine Hilfe. Aber Shawn befürchtete, dass Miller schon längst ahnte, was sie taten.
„Dann darf er es halt nicht erfahren. Wir tun das hier für Sara, okay?! Sie würde das Gleiche für uns tun. Und jetzt lass bitte deinen Kleinkrieg mit Cruz mal außen vor“, erwiderte seine Kollegin, während sie sich ihre Jeansjacke über den Arm legte.
Die Außenfassade des Hauses hätte dringend einen Anstrich nötig gehabt. Die Tür stand offen und gab den Blick auf das heruntergekommene Treppenhaus frei. Sie mussten in den 6. Stock. Der mit Schmierereien übersäte Aufzug war kaputt, was Shawns Laune noch verschlechterte. Die Wohnung lag am Ende eines engen Flures mit kahlen Betonwänden, die Beleuchtung war kaputt und das schwache Tageslicht, das durch ein winziges Fenster im Gang hereinfiel, machte das Bild, das sich ihnen bot, nicht besser. Nachdem Shawn mit einem genervten Seufzer festgestellt hatte, dass auch die Klingel nicht funktionierte, hämmerte er mit der Faust gegen die Tür. Lilly hielt Philips Akte in ihren Händen. Der Junge war erst erstaunlich spät auf die schiefe Bahn geraten. Erste Einträge, als er 20 Jahre alt war: Ladendiebstahl. Das war der Anfang einer Reihe minderschwerer Delikte. Prügeleien, Nötigung, Einbrüche und letztendlich Drogen. Seit ein paar Monaten war der Junge jedoch nicht mehr aktenkundig geworden. Lilly schlug die Akte zu, als Philip die Tür öffnete.
„Ja, bitte. Wer sind Sie?“, fragte er abgehackt, die Lider halb geschlossen.
Lilly und Shawn hielten ihm ihre Ausweise hin. „San Diego Police Department, dürfen wir kurz reinkommen?“
Philips Augen weiteten sich, als er das Wort Polizei hörte. Er wollte die Tür zuschlagen, aber Shawn stellte rechtzeitig seinen Fuß in den Rahmen und stieß sie auf.
„Immer langsam, junger Mann.“ Obwohl Shawn in dem letzten Jahr ordentlich an Gewicht zugelegt hatte und seine Schnelligkeit dafür büßen musste, war Philip zu schwach, um auch nur das Geringste gegen ihn ausrichten zu können. Er wirkte so wackelig auf den Beinen, als drohte er jeden Moment das Gleichgewicht zu verlieren.
„Ich habe nichts getan“, wiederholte er immer wieder.
Lilly hielt ihn schließlich an den Schultern fest. „Hör zu, Philip. Es geht um deine Schwester, um Claire.“
Abrupt verstummte der Junge und starrte Lilly an. In seinen Augen registrierte sie etwas, sie war sich aber nicht sicher, ob es Angst war.
Philip ließ die beiden schließlich in seine Wohnung – eine abgeranzte Bude, in der es nach Schimmel und Essensresten stank. Die Sonne, die durch das Fenster fiel, beleuchtete eine Unzahl von Staubpartikeln. Der Fernseher stand auf einer Obstkiste und lief, aber heraus kam nur ein Knistern, auch von einem deutlichen Bild konnte nicht die Rede sein. Shawn wollte den Kasten ausmachen, aber wo normalerweise ein An- und Ausknopf war, klaffte ein Loch. „Nehmen Sie den Stift“, sagte Philip und deutete auf einen Bleistiftstummel neben dem Gerät. Shawn nickte dem Jungen freundlich zu, aber anstatt den Stift zu nehmen, ging er um den Fernseher herum und riss das Kabel aus der Steckdose. Stille.
Philip zuckte kurz zusammen, sagte aber nichts. Er ließ sich auf sein Bett fallen. Der Junge war schmächtig und die grau schimmernde Haut, die sich dünn über seine eingefallenen Wangen legte, ließ ihn krank erscheinen. Sein Ausdruck war stumpf, er wirkte teilnahmslos. Er hatte tiefe Ränder unter den Augen, seine braunen Locken hingen strähnig am Kopf. Wäre Lilly sein Alter nicht bekannt gewesen, hätte sie ihn auf Ende 30 geschätzt. Philip war aber erst 24. Er sah aus, wie ein schwer drogenabhängiger Mann auf kaltem Entzug. Jetzt überzog ein dünner Schweißfilm seine Stirn.
„Was ist mit Claire? Sie ist doch in Thailand, oder?!“, fragte er, die Arme fest um seinen Körper geschlungen.
Die Detectives verzichteten darauf, sich auch einen Sitzplatz zu suchen. „Das ist richtig, Philip. Deine Schwester ist in Thailand. Dort wird sie aber seit knapp zwei Wochen vermisst“, erwiderte
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