Gnadenlose Jagd
mit dem Keyboard wieder nach unten. »Ich stelle es im Wohnzimmer neben das Sofa. Eigentlich hätte ich ihr ein richtiges Klavier besorgen sollen.«
»Sie kommt mit dem Keyboard gut zurecht.« Grace blieb oben auf der Treppe stehen und schaute Kilmer an. »Du hast mir gesagt, wie viel Kopfgeld Marvot auf mich und auf Frankie ausgesetzt hat. Wie viel ist er bereit, für deinen Kopf zu zahlen?«
»Genug, um damit ein kleines Königreich zu gründen.« Er richtete sich auf und ging zur Haustür. »Er ist ein bisschen wütend auf mich, stell dir vor.«
Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken. Warum zum Teufel hatte er Marvot nicht einfach vergessen, so wie sie es getan hatte? Nein, er musste natürlich an der Sache dranbleiben, um irgendwann zuzuschlagen und alles aufs Spiel zu setzen.
Aber hatte sie Marvot denn wirklich vergessen? Die blanke Wut, die in ihr aufgestiegen war, hatte sie erneut überrascht.
Gefühle waren keine Taten.
Es war Kilmers Entscheidung, weiterzumachen. Das Einzige, was sie interessierte, war Frankies Sicherheit.
In dem Zimmer, das Kilmer ihnen zugewiesen hatte, standen zwei französische Betten mit geblümten Tagesdecken. Von dem großen Fenster aus hatte man einen atemberaubenden Blick auf die Berge, die Frankie bei ihrer Ankunft so fasziniert hatten.
Grace trat ans Fenster und schaute hinaus. Ein Grauschimmel und ein Fuchs grasten gemächlich in der Koppel. Schöne Pferde, klein und kompakt. Ob sie Araberblut in den Adern hatten?
Die zwei blauäugigen Pferde in El Tariq, »die Zwei«, waren weiße Araber, fiel ihr plötzlich ein. Sie besaßen ausgezeichnete Körperlinien, und die blauen Augen machten sie noch außergewöhnlicher.
Und klug waren sie. Sehr klug. Grace hatte noch nie mit klügeren und sensibleren Pferden zu tun gehabt. Sie schienen jeden Gedanken, jede Gefühlsregung zu spüren.
Und sie war mit ihnen vertraut gewesen. Mit diesen beiden Pferden zu arbeiten war absolut unglaublich gewesen. Anfangs hatte man sie unmöglich als Einzelwesen wahrnehmen können. Für sie und alle anderen in El Tariq waren sie immer nur »die Zwei« gewesen. Aber am Ende hatte sie angefangen, die beiden Pferde als Individuen zu betrachten. Sie waren verspielt und wild und absolut faszinierend gewesen. Ob sie immer noch so waren? Inzwischen waren sie fast zehn Jahre alt …
Sie musste aufhören, an sie zu denken, ermahnte sich Grace.
Sie hatte Kilmer erklärt, dass sie nichts mit den Pferden zu tun haben wollte, und das hatte sie ernst gemeint. Die Sache war zu gefährlich und hatte sie bereits einen zu hohen Preis gekostet.
Sie wandte sich vom Fenster ab, stellte ihre Reisetasche aufs Bett und öffnete sie. Sobald sie mit Auspacken fertig war, würde sie duschen und dann in die Küche gehen, um nachzusehen, ob es etwas gab, woraus sie für Frankie ein Abendessen bereiten konnte. Normalerweise hatte ihre Tochter einen guten Appetit, aber während ihrer kreativen Phasen war sie immer ein bisschen abgelenkt, und man musste sie ans Essen erinnern, damit sie es nicht vergaß.
Nachdem eine Tasche leer war, beschloss Grace, die andere lieber gepackt zu lassen, für den Fall, dass sie irgendwann unverhofft würden aufbrechen müssen. Nicht dass sie Kilmers Fähigkeiten misstraut hätte, eher den Umständen. Es war immer am besten, aufs Schlimmste gefasst zu sein und auf das Beste zu hoffen.
El Tariq, Marokko
»Wir glauben, dass Kersoff die Frau und das Kind ausfindig gemacht hat«, sagte Brett Hanley, als er auf die Terrasse trat. »In Alabama.«
Marvot blickte vom Schachbrett auf. Er spielte gerade eine Partie gegen seinen zehnjährigen Sohn. »Wann können wir mit ihrem Erscheinen rechnen?«
»Nun, äh … Die Mission war nicht gerade von Erfolg gekrönt.«
Marvot machte seinen Zug. »Schachmatt.« Er runzelte die Stirn. »Guillaume, ich habe dir immer gesagt, du sollst auf deine Königin aufpassen. Jetzt geh und überlege, welche Fehler du gemacht hast. Ich möchte, dass du mir heute Abend sagst, wie du die Partie hättest gewinnen können.«
»Ich weiß nicht, ob ich –« Guillaume traten Tränen in die Augen. »Tut mir leid, Papa.«
»Das reicht nicht.« Er legte dem Jungen zärtlich eine Hand an die Wange. »Hör zu, du musst dich konzentrieren und besser werden, damit ich stolz auf dich sein kann. Das möchtest du doch, oder?«
Guillaume nickte.
»Und ich werde stolz auf dich sein. Du wirst mit jedem Spiel besser.« Er umarmte seinen Sohn, dann gab er ihm einen Klaps auf
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