Gnadentod
an Verachtung durch einen Sohn war schwer vorstellbar, aber Eric war aufbrausend und impulsiv und hatte die entsprechenden Gene dafür. Versuchte er jetzt, Monate später, mit dem klarzukommen, was er getan hatte? Suchte er seine eigene Sühne?
Richard hatte gerade zugegeben, dass er Quentin Goad für den Mord am Todesdoktor bezahlt hatte.
Mach eine blutige Angelegenheit daraus … der falsche Mann zum Betrügen. Wie hatte Joanne angesichts von Richards Kontrollbedürfnis mit etwas anderem rechnen können als mit Zurückweisung und Vergeltung?
Ein Mordversuch als Abschluss … und, falls Mate Joanne nicht beim Sterben geholfen hatte, ein Riesenfehler.
Wenn er es nicht gewesen war, wer dann?
Sie selbst? Als Mikrobiologin hatte Joanne Zugang zu tödlichen Chemikalien und die Fertigkeit, sich selbst eine Spritze zu setzen. Aber angesichts ihres körperlichen Zustands konnte ich mir nicht vorstellen, wie sie allein nach Lancaster fuhr …
Sie muss mich wirklich gehasst haben. Jetzt hatte ich einen Grund, weshalb sie im Happy Trails Motel gestorben war.
Also war Mate vielleicht doch da gewesen und hatte eingewilligt, auf seine frühere Praxis der gemieteten Motelzimmer zurückzugreifen, um Joannes Wunsch zu respektieren. Dasselbe galt für das Fehlen von Publicity: Vielleicht hatte Joanne darum gebeten, dass er nichts verlauten ließ. Zum Wohl der Kinder? Nein, das ergab keinen Sinn. Falls sie Eric hatte abschirmen wollen, warum hätte sie sich dann für einen so auffälligen Selbstmord entscheiden sollen?
Warum sich überhaupt selbst töten?
Eins schien klar zu sein: Mr. und Mrs. Doss hatten eine gestörte Beziehung gehabt. Sie hatte gesündigt, und er hatte sich geweigert, ihr zu vergeben.
Joanne hatte Richards Wut akzeptiert. Sie hatte sich so sehr gehasst, dass sie sich selbst zugrunde gerichtet hatte.
Aber sie war nicht abgetreten, ohne einen letzten Schuss abzufeuern.
Sie hatte den letzten Tag ihres Lebens selbst in die Hand genommen, sich heimlich mit Mate - oder jemand anderem - in Verbindung gesetzt und war zu ihren eigenen Bedingungen gestorben.
Lancaster. Das endgültige Leck-mich-am-Arsch Richard gegenüber.
Da sie Richard gut kannte und da sie wusste, dass er seine Wut auf alles Mögliche zu richten versuchen würde und dass eine Leiche in einem billigen Motel etwas wäre, dem er sich nicht entziehen könnte.
Das hatte sie jedenfalls gehofft. Falls es Joannes Absicht gewesen war, Richard damit zu einer vernichtenden Selbstbetrachtung zu bringen, war sie kläglich gescheitert. Wie Judy gesagt hatte, Richard war gut in Schuldzuweisungen.
Und Richard liebte es, seine Gegner zu vernichten.
Vor ein paar Minuten, als er seine »hypothetische« Geschichte erzählte, hatte er seine Abmachung mit Quentin Goad als einen Akt des Wahns abgetan und geleugnet, dass er einen zweiten Versuch unternommen habe.
Trotzdem hatte er ein Alibi fomuliert gehabt und redete bereits von vorübergehender Geisteskrankheit. Milo würde über all das lachen. Man musste kein Detective sein, um das zu können. Richard war ein rücksichtsloser, egozentrischer Kontrollfreak, dem man seiner Ansicht nach Unrecht getan hatte. Und wie ich gerade erlebt hatte, konnte Richard wirklich sehr wütend werden.
Und jetzt war ich in seinem Haus, zu seinen Bedingungen. Am oberen Ende der Treppe blieb Safer auf einem kleinen Absatz vor einer geschlossenen Tür stehen. »Sie sind beide in Erics Zimmer«, sagte er. »Würden Sie lieber zusammen oder einzeln mit ihnen reden?«
»Mal sehen, wie es läuft.«
»Aber zusammen wäre in Ordnung?«
»Warum?«
Er runzelte die Stirn. »Um die Wahrheit zu sagen, Doktor, keiner von beiden möchte mit Ihnen allein sein.«
»Glauben sie immer noch, dass ich sie verraten habe?«
Safer rückte seine Jarmulke zurecht. »Tut mir Leid. Richard hat mit ihnen geredet und ich auch, aber Sie kennen doch die jungen Leute. Ich hoffe, das hier entpuppt sich für Sie nicht als komplette Zeitverschwendung.«
Oder etwas noch Schlimmeres, dachte ich.
Safer legte seine Hand auf den Türknauf, ohne ihn jedoch umzudrehen. »Und wie lief es mit Richard?«
»Richard scheint eine rosige Zukunft vor Augen zu haben«, sagte ich.
»Nun jaa-aa«, sagte Safer, »eine positive Einstellung ist eine gute Sache, finden Sie nicht?«
»Ist sie in Richards Fall auch gerechtfertigt?«
Eine große Hand mit knotigen Fingern kam zum Vorschein und strich den Bart glatt. »Lassen Sie es mich so formulieren, Doktor. Ich kann nicht
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