Go vegan!: Warum wir ohne tierische Produkte glücklicher und besser leben (German Edition)
auf die genannten Denkfehler hin. Man könnte sagen: Fragen zu stellen und gesellschaftliche Normen zu hinterfragen ist unser Konzept.
Anne Bonnie: Der Veganismus kommt mehr und mehr im Mainstream an, doch bislang ist das Konzept hauptsächlich auf die Ernährung beschränkt. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass viele Gebrauchsgegenstände mithilfe von tierischen Inhaltsstoffen produziert werden. Auch viele unserer Kunden haben darüber noch nie nachgedacht. Weil unser Laden aber explizit auch vegan ist, kommen wir mit vielen Menschen, die bei uns einkaufen, ins Gespräch und können sie zum Nachdenken anregen. Wir betreiben also Aufklärungsarbeit in einem sehr ganzheitlichen Sinne.
Anne Bonnie Schindler und Sara Rodenhizer, beide Jahrgang 1980, betreiben seit 2011 den queer-feministischen Sexshop Other Nature in Berlin und führen dort fast ausschließlich vegane Produkte.
Vegan sein heisst anders sein
Tina: Es hat ein ganzes Jahr gedauert, bis meine Familie akzeptiert hat, dass ich kein Fleisch mehr essen will. Ich war 15 und hatte eine Dokumentation über die Zustände im Verladehafen in Triest im Fernsehen gesehen. Dort wurde gezeigt, wie die lebenden Rinder, schreiend und brüllend und mit weit aufgerissenen Augen, an den Beinen festgekettet und dann an den Hinterläufen hochgezogen werden, um sie auf die Lastwagen zu verladen, die sie zum Schlachthof bringen. Ich hatte den Schock meines Lebens und bin heulend vor dem Fernseher zusammengebrochen. Danach wurde mir schlecht, wenn ich Fleisch essen sollte. Ich habe es noch ein paarmal halbherzig versucht, aber es ging einfach nicht mehr. Meine Familie war entsetzt.
»Kind, das kannst du nicht machen!«, hieß es. »So kannst du dich nicht gut ernähren!« und »Das machen wir nicht mit«. Weil ich mir aber nichts aufzwingen lassen wollte, beschloss ich, mich zu verweigern. Ich habe nur noch gegessen, was ich essen wollte, den Rest ließ ich stehen. Am schlimmsten war das für meine Oma. Die war früher Bäuerin und hatte einen Hof mit ein paar Milchkühen. Für sie stand fest: »Ohne Fleisch wird aus dem Kind nichts.« Sie hat gedacht, wenn ich kein Fleisch zu mir nehme, verkümmere ich wie eine Primel. Also hat sie ein paarmal versucht, mir püriertes Fleisch heimlich unters Gemüse zu mischen. Als ich dahinterkam, gab es natürlich Streit.
Nach etwa einem Jahr voller Diskussionen hatte meine Mutter ein Einsehen und begann, mir vegetarische Kost zuzubereiten. Damals gab es bei Weitem noch nicht so viel Auswahl wie heute. Unser kleiner Metzger im Ort hatte Gemüsefrikadellen und im Reformhaus in Saarlouis gab es vegetarische Burger. Die konnte ich zwar bald nicht mehr sehen, aber immerhin hat meine Mutter sie mir regelmäßig gekauft.
Marco: Als ich Tina 2006 kennenlernte, war es mir egal, dass sie Vegetarierin ist. Mein Vater ist Projektmanager im Leitungsbau bei Siemens. Deshalb war meine Familie schon viel in der Welt unterwegs. Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte, das war für mich alles ganz normal. Ich habe auch einige Jahre in den USA gelebt und war dort das typische Fast-Food-Kind.
Tina: Marco war Fleischesser ohne Rücksicht auf Verluste. Der hat einfach alles in sich hineingeschaufelt und kannte kein Pardon. Als ich ihn kennenlernte, war das für mich okay. Ich wollte ihm meinen Lebensstil nicht aufdrängen. Zwar aß ich selbst kein Fleisch, aber wenn er wollte, habe ich sogar welches für ihn zubereitet. Heute würde mir das schwerfallen, aber damals war es okay.
Marco: Dass auch ich irgendwann kein Fleisch mehr essen konnte, hat einen ganz anderen Grund. Ich war von 1997 bis 2002 Zeitsoldat bei der Bundeswehr und als solcher auch bei Auslandseinsätzen dabei. Kriegseinsätzen, wie man in meinen Augen richtigerweise sagen müsste. Meine Einsatzgebiete waren Bosnien und Serbien. Gemeinsam mit meinen Kameraden wurde ich Zeuge davon, wie UN-Soldaten weitere Massengräber in Srebrenica entdeckten. Schon im Juli 2005 hatte es dort ein schreckliches Massaker gegeben. Die serbische Armee unter der Führung von Ratko Mladi´c hatte gemeinsam mit der Polizei und serbischen Paramilitärs ungefähr 8000 Bosniaken ermordet, fast ausschließlich Männer und Jungen zwischen 13 und 78 Jahren. Auch danach kam es immer wieder zu Massenhinrichtungen in der Gegend. Wir bargen später die Leichen. Genaueres erzähle ich lieber nicht. Es fällt mir immer noch sehr schwer, darüber zu sprechen.
Srebrenica war nur ein Erlebnis von vielen. Sagen wir
Weitere Kostenlose Bücher