Godspeed | Die Ankunft
rebelliert wie schon bei Bartie. Und Kit ist nicht mehr da. Er hat all seine Angst und Wut für mich aufgehoben, und sie hat sich die ganze Zeit in ihm aufgebaut, bis das Fass übergelaufen ist.
»Dad ist
nicht
der Älteste«, wiederhole ich so energisch wie möglich. »Das werden wir ihm nicht erlauben.«
Das durchbricht Juniors Wut.
»Er ist Offizier. Und er war schon immer stur. Aber er ist ein
guter Mensch
, Junior, das versichere ich dir.«
Ich merke natürlich, dass er mir nicht glaubt. Vielleicht hat er recht – ich bin nicht objektiv, wenn es um meinen eigenen Vater geht. Aber ich weiß auch, dass mein Vater besser ist, als Junior denkt.
»Außerdem«, fahre ich fort, »ist Dad hier nicht das eigentliche Problem.«
Jetzt habe ich endlich Juniors Aufmerksamkeit. Er wartet darauf, dass ich fortfahre.
Ich balle unauffällig die Fäuste, damit Junior nicht sieht, wie meine Hände zittern. »Ich weiß nicht, wie ich mir diesen Planeten vorgestellt habe«, beginne ich leise. »Ich dachte, ich könnte mit den Monstern leben, vor denen Orion uns gewarnt hat, und so schlimm fand ich die Pteros nicht. Aber …« Ich verstumme. »Ich habe Angst. Die Tatsache, dass es auf diesem Planeten Phydus gibt … das macht mich krank vor Angst. Das ist schlimmer als alle Monster. Wenn da Aliens sind, die Phydus haben …« Mir bricht die Stimme. Junior hat gehört, wie mein Dad über das Töten von Aliens gesprochen hat, und allein der Gedanke an einen Krieg hat ihn rebellieren lassen. Aber die Aliens haben Phydus und dagegen kann niemand rebellieren.
»Wir hätten auf der
Godspeed
bleiben sollen«, sage ich und starre auf den Boden. Es kostet mich Überwindung zuzugeben, dass ich falsch lag und dass es besser gewesen wäre, die Gefangenschaft hinter eisernen Wänden für unsere Sicherheit in Kauf zu nehmen.
»Nein.« Junior flüstert seinen Widerspruch nur – aber mit Nachdruck. »Was immer geschieht –, es war es wert, das Schiff zu verlassen.«
Ich antworte nicht.
Junior tritt direkt vor mich. Weil ich durch ihn hindurchsehe, streicht er mir über das Gesicht, bis ich ihn wahrnehme. Und deshalb weiß ich – ich
weiß
–, dass er es ehrlich meint, als er noch einmal »Es ist es wert« sagt.
Ich schließe die Augen und bin plötzlich unendlich erleichtert. Erst allmählich wird mir bewusst, wie nah wir einander sind und dass ich Juniors Wärme spüren kann. Als ich die Augen wieder öffne, spiegelt sich in seinem Blick dieselbe wilde Leidenschaft, die auch ich empfinde.
Seine Hand zittert, als er mir damit über die Wange fährt und mir eine Strähne hinters Ohr streicht. Seine Finger wandern weiter und heben mein Kinn an.
Ich schließe die Augen.
Unsere Lippen berühren sich. Er schmeckt wie Dinge, die eigentlich gar keinen Geschmack haben: Wärme und Leben und Wahrheit und Güte und Liebe.
Und meine anderen Sinne treten in den Hintergrund.
Es gibt nichts anderes mehr als unseren Kuss und das Wissen, dass Junior mich genauso will – mich
braucht
–, wie ich ihn
brauche
.
Aber er zieht sich lange genug von mir zurück, um mir eine Frage zu stellen: »Bist du sicher?«
Und er wartet sogar auf meine Antwort.
Bei meinem ersten Mal auf der Erde mit meinem Freund Jason dachte ich, dass ich sicher war. Aber er hat nie gefragt und ich habe nie geantwortet und wir haben kein Wort gesprochen und ungeschickt im Dunkeln herumgefummelt. Es war keine bewusste Entscheidung – es ist einfach passiert, weil uns die Leidenschaft überwältigt hat.
Eigentlich habe ich in meinem Leben nur wenige Entscheidungen getroffen. Ich reagiere, habe aber noch nie ein bestimmtes Ziel vor Augen gehabt und mit der Entschlossenheit eines Kapitäns im Sturm darauf zugesteuert. Als mein Vater mich vor die Wahl stellte, an Bord der
Godspeed
zu gehen oder auf der Erde zu bleiben, habe ich nicht wirklich entschieden; ich habe einfach ein Schicksal akzeptiert, das ich für unausweichlich hielt.
Es war nur Junior – es war immer nur Junior –, der von mir verlangt hat zu wählen, wer und was ich bin. Was ich tue.
»Ich bin sicher«, sage ich. »Ich entscheide mich für dich.«
Ich habe noch nie zuvor ein solches Verlangen verspürt. Er führt mich nach oben, wo mein Schlafsack bereits ausgebreitet ist. Es war ein Wink des Schicksals, dass ich ihn gestern Abend hiergelassen habe.
Wir fallen uns in die Arme. All die Stimmen in meinem Kopf – die Angst, die Zweifel, die Sorgen – verstummen. Am Ende jedes
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