Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
Tortues Methode her, gab die Methode seinen Jüngern weiter, und diese den ihrigen.
Schildkröte: Was für eine verwickelte Geschichte! Kaum zu glauben, daß sie tatsächlich in einem Faden verborgen lag.
Achilles: Oh ja, das war sie. Erstaunlicherweise haben Sie offensichtlich gleich beim ersten Anlauf einen wohlgeformten Faden geschaffen.
Schildkröte: Aber wie sah der Faden des Großen Tortue aus? Das ist doch wohl die Hauptsache dieses Kōans, meine ich.
Achilles: Da habe ich meine Zweifel. Man sollte sich nicht kleinen Einzelheiten innerhalb des Kōan hingeben. Der Geist des ganzen Kōan ist wichtig, nicht kleine Einzelheiten. Wissen Sie, was mir eben aufgegangen ist? So verrückt es klingt ich glaube, daß Sie vielleicht auf den verschollenen Kōan gestoßen sind, der die allerersten Anfänge der Kunst der Zen-Fäden beschreibt!
Schildkröte: Das wäre freilich zu gut, um Buddha-Natur zu haben.
Achilles: Das aber bedeutet, daß der große Meister — der einzige, der jemals den mystischen Zustand der Erleuchtung der Erleuchtung erreicht hat, „Tortue“ hieß, nicht „Tutor“. Was für ein komischer Name!
Schildkröte: Komisch? Nein, ich finde französische Namen schön. Ich möchte noch immer wissen, wie der Faden von Tortue aussah. Können Sie ihn nach der im Kōan enthaltenen Beschreibung wieder erzeugen?
Achilles: Versuchen könnte ich's ... Natürlich muß ich meine Füße verwenden, da das Ganze als Fußbewegung beschrieben wird. Das ist recht ungewöhnlich. Aber ich denke, ich bringe es schon fertig. Lassen Sie mich's versuchen! (Er nimmt den Kōan und ein Stück Faden und verdreht und wendet ihn in geheimnisvoller Weise, bis er das fertige Ergebnis vor sich hat.) Nun, das ist es. Merkwürdig, wie vertraut er aussieht.
Schildkröte: Tatsächlich. Wo habe ich das nur schon früher gesehen?
Achilles: Ich weiß! Das ist I HRE Schnur, Herr S. oder etwa nicht?
Schildkröte: Ganz sicher nicht.
Achilles: Natürlich nicht. Es ist der Faden, den Sie mir zuerst gaben, bevor Sie ihn zurücknahmen, um einen nichtigen zusätzlichen Knoten anzubringen.
Schildkröte: Ja, tatsächlich. Stellen Sie sich nur vor. Was das wohl bedeuten mag?
Achilles: Zum mindesten ist es seltsam.
Schildkröte: Halten Sie meinen Kōan für echt?
Achilles: Moment!
Schildkröte: Oder hat mein Faden Buddha-Natur?
Achilles: Etwas an Ihrem Faden macht mir allmählich Kummer, Herr Schildkröte.
Schildkröte (sieht sehr zufrieden mit sich selbst aus und achtet nicht auf Achilles): Und wie steht's mit Tortues Faden? Hat der Buddha-Natur? Fragen ohne Ende!
Achilles: Ich hätte Angst, solche Fragen zu stellen, Herr S. Es geht etwas höchst Komisches vor, und mir ist nicht recht wohl dabei.
Schildkröte: Tut mit leid, das zu hören. Ich kann mir gar nicht denken, was Sie denn so beunruhigt.
Achilles: Nun, am besten läßt sich das erklären in den Worten eines anderen alten Zenmeisters, Kyōgen. Kyōgen sagte:
Zen ist wie ein Mann, der über einem Abgrund schwebt, während er sich mit den Zähnen an einem Baum festhält. Seine Hände klammern sich an keinen Zweig, seine Füße haben keinen Halt, und jemand fragt ihn unter dem Baum: „Warum kam Bodhidharma von Indien nach China?“ Wenn der Mann im Baum nicht antwortet, hat er die Prüfung nicht bestanden, und wenn er antwortet, fällt er und verliert sein Leben. Was soll er also tun?
Schildkröte: Das ist klar: Er sollte Zen aufgeben und sich der Molekularbiologie widmen.
KAPITEL IX
Mumon und Gödel
Was ist Zen?
I CH BIN NICHT SICHER , ob ich weiß, was Zen ist. Einerseits meine ich es sehr gut zu verstehen, andererseits glaube ich, daß ich es überhaupt nie verstehen werde. Seit mein Englischlehrer im College in unserer Klasse Jōshūs MU vorlas, habe ich mich mit den Zenaspekten des Lebens herumgeschlagen, und das wird wohl nie ein Ende finden. Für mich ist Zen intellektueller Treibsand — Anarchie, Dunkelheit, Bedeutungslosigkeit, Chaos. Es ist quälend und aufreizend. Und doch ist es auch humorvoll, erquickend, anziehend. Zen hat seine eigene Bedeutung, seine eigene Helligkeit und Klarheit. Ich hoffe, dem Leser in diesem Kapitel etwas von diesem Bündel von Reaktionen vermitteln zu können. So seltsam es klingt — es wird uns direkt zu Gödelschen Fragen führen.
Eine der Grundannahmen des Zen-Buddhismus ist die, daß es keine Methode gibt, mit der sich charakterisieren ließe, was Zen ist. Gleichgültig, in welchem Verbalraum man Zen einschließen will — es
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