Gößling, Andreas
auf, du fetter Menschenschinder!« Er versuchte sich aufzubäumen. Da hob der oberste Jaguarpriester die Hand, die auf dem Altar gelegen hatte.
Ganz langsam ballte er sie zur Faust und schlug Pedro auf den Kopf.
Mit einem Seufzer sackte Pedro in sich zusammen.
»Aufhören, verdammt noch mal! Ihr seid doch alle irre!« Carmen schrie ihre Wut und Angst in das Gesicht des fetten Priesters. Der glotzte sie nur an. Die Trommeln dröhnten. Die jungen Jaguare drängten sich jetzt alle um den Altar herum. Sie drückten ihre Papierfetzen auf Pedros Rücken und sofort sogen sich die Streifen mit Blut voll. Es sah aus, als ob zwanzig Lunten gleichzeitig zu brennen anfingen, so schnell tränkten sich die weißen Streifen mit Pedros Blut. Die anderen Enden der Papierfetzen hatten sie in ihre Knochenbecher gehängt. So rann das Blut von den Streifen in die Opfer-gefäße, die mit Jaguarfratzen, mit springenden, kauernden, fressenden Jaguaren gemustert waren.
Gleich würde der fette Priester mit seinem scheußlichen Messer zu ihr herüberkommen, dachte Carmen. Sie musste endlich etwas tun! Aber was nur, verdammt noch mal! Immer noch fühlte sie sich benommen. Halb gelähmt durch den Hexentrunk, halb von der Angst. »Pedro!«, schrie sie wieder. »Wach doch auf! Sag diesem Oberpriester, dass Kanaas uns die Maske geklaut hat! Dass der Canek auf uns wartet! Dass wir gekommen sind, um ihm die heiligen Sachen zurückzubringen! Kanaas, du verdammter Feigling!«, schrie sie in Richtung der Jaguarpriester. Wild schaute sie von einem Gesicht zum anderen, aber auf einmal sahen sie alle vollkommen gleich aus. »Du kannst uns hier nicht einfach für euch bluten lassen, Kanaas!«, schrie sie trotzdem weiter. »Wenn das euer König rauskriegt, müsst ihr tausendfach dafür büßen – du und Ixom! Soll das vielleicht der Dank dafür sein, dass wir euch aus dem Wasser gerettet haben?«
Sie schrie und schrie, aber es half überhaupt nichts. Nicht gegen ihre Angst und schon gar nicht gegen das Messer des Oberpriesters, der jetzt seinen glasigen Blick auf sie richtete. Mit einer Kopfbewegung, die ihn fast umgerissen hätte, warf er seinen Haarfilz über die Schulter zurück. Was Carmen zu sehen bekam, raubte ihr die allerletzte Hoffnung. Auch Pedro war wieder zu sich gekommen und Carmen sah, dass er genau wie sie auf den Hals des fetten Jaguarpriesters starrte. Unter drei Kinnwülsten baumelte an einem Lederriemen die maisgelbe Maske.
Carmen fing an zu heulen. Die jungen Priester ließen Pedros Blut über die Papierstreifen in ihre Becher rinnen. Der Oberpriester glotzte sie immer noch an. Mit einer Hand hielt er sich wieder am Altar fest, in der anderen funkelte das Messer. So watschelte er um den Altar herum, bis er auf Carmens Seite angekommen war. Jetzt wird er deinen Rücken zerschneiden, dachte sie, jetzt gleich, in zehn Sekunden, neun, acht, sieben… Alles in ihr schrie, nur aus ihrem Mund kam nicht mal mehr ein Fieplaut heraus. Alles in ihr raste, aber sie lag regungslos da wie ein Schlachtvieh.
Die Trommeln donnerten. Der ganze Berg schien wie im Krampf zu zittern und zu zucken. Der oberste Jaguarpriester hob die Hand mit dem Opfermesser. Da flog urplötzlich hinter ihm eine Tür auf und Sonnenlicht flutete in den Raum. Das Messer fuhr ratschend über Carmens Rücken.
Dann spürte sie, wie etwas hart und kalt auf ihren Rücken fiel.
Offenbar war das Messer aus der Hand des Priesters geglitten. Langsam und schwankend drehte er sich herum, um herauszubekommen, wer seine Zeremonie zu stören wagte.
Vom Sonnenlicht vergoldet, stand ein zierlicher Mann in der Tür.
Soweit in der plötzlichen Helligkeit überhaupt etwas zu erkennen war, trug er ein bodenlanges Gewand, gleichfalls von leuchtend gelber Farbe. Mitten auf seiner Brust prangte eine Sonnenscheibe mit einem Gesicht, das sie alle mit niederschmetternder Feindseligkeit anzuglotzen schien.
»Das muss der Lahkin sein – der oberste Sonnengottpriester, der mächtigste Priester von Tzapalil.« Pedro flüsterte es in ihr Ohr und Carmen kam es vor, als hätte sie niemals schönere Worte gehört.
»Vorhin hab ich diese Wächter angebettelt, zum Lahkin zu gehen und ihm zu erzählen, warum wir gekommen sind. Dass wir zumindest die Maisgottmaske mitgebracht haben. Dass aber die Zwillinge sie uns geklaut haben und uns als Blutopfersklaven im Jaguartempel gefangen halten wollen.« Carmen hatte im Liegen den Kopf zu ihm gedreht und lächelte ihn an. »Ich dachte schon, die sind gar
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