Goetheruh
den USA üblich ist.
»Ich liebe den Beethoven, aber oft höre ich auch Rock ’n’ Roll oder Blues.«
»Oh toll!« Da war Hanna in ihrem Element. »Hast du eine CD von Elvis?«
Natürlich hatte sie eine, wir gingen ins Wohnzimmer und hörten ›Hound Dog‹ und ›Only You‹. Cindy zeigte uns auch ihre Beethoven-Sammlung.
»Goethe und Beethoven hatten übrigens einige Sachen gemeinsam«, meinte sie, »die beiden Kerle haben sich sogar mal persönlich gesehen.«
»Echt? Das wusste ich gar nicht«, sagte Hanna erstaunt.
»Yes«, bekräftigte Cindy, »das war in Tschechien. Karlsbad war damals der Badeort für diese High Society.«
»And why did they meet in Karls … whatever?«, schaltete sich John ein.
»Karlsbad«, half ihm Cindy.
»Goethe war dort oft zur Kur«, antwortete ich, »Beethoven wollte ihn unbedingt treffen und war von der Idee einer Zusammenarbeit völlig begeistert. Goethe sah das viel nüchterner.«
»Allerdings!« Cindy erinnerte sich wohl an meine Kritikfähigkeit gegenüber Goethes Leben und Werk. »In einem Brief schrieb der Beethoven: ›Goethe behagt die Hofluft zu sehr, mehr als es einem Dichter ziemt!‹«
»Ja, ja«, erwiderte ich lachend, »der gute alte Goethe saß manches Mal auf einem hohen Ross!«
John sah mich verwirrt an: »What does it mean: hohen Ross?«
»This is a special term for being arrogant«, antwortete ich.
»Oh, thanks.«
»Hat Beethoven nicht trotzdem einige Stücke von Goethe vertont?«
»Ja, das stimmt. Zum Beispiel hat er die Musik zu ›Egmont‹ komponiert«, berichtete Cindy,« mit 39 Jahren, da war er bereits fast taub.«
»Und dann hat er weiterkomponiert?«
»Ja, das hat der Kerl getan, unglaublich, nicht?«
»Wirklich unglaublich!« Hanna überlegte. »Cindy, glaubst du wirklich, dass so etwas möglich ist? Dass jemand trotz Taubheit solch geniale Werke komponieren kann?«
»Ja, das denke ich schon. Eine Komposition hat man zuerst im Kopf, dann bringt man sie aufs Papier und danach ans Klavier. Es klingt vielleicht seltsam, aber der Beethoven musste nur diesen letzten Schritt weglassen.«
»So etwas könnte ich nie!«, stellte ich fest.
»Dafür kannst du etwas anderes«, tröstete mich Hanna.
»You should not let her go, boy«, schmunzelte John, während er in der Küche verschwand, um nach der Pizza zu sehen.
»Was sagt er?«, raunte Hanna mir zu.
»Er meint, dass du wohl recht hast«, antwortete ich schnell und Cindy setzte ihr breitestes texanisches Grinsen auf.
»Pizza is ready!«, rief John mit dem unvergleichlichen texanischen Slang, der die beiden z in Pizza so weich schmelzen ließ wie den Käse.
Inzwischen war es fast 21 Uhr geworden und alle hatten Hunger. Wir nahmen die Pizzastücke einfach in die Hand, ohne Besteck und störten uns nicht an verschmierten Fingern. Cindy hatte die Servietten vergessen und holte stattdessen eine dicke Küchenrolle. Ich bemerkte, dass Hanna sich wohlfühlte und somit ging es auch mir gut. Lerne nur das Glück ergreifen . Ja, ich griff mit beiden Händen zu.
Plötzlich fragte Cindy: »Ach Hendrik, du kennst doch bestimmt auch gut dieses Goethehaus?«
»Klar«, gab ich gut gelaunt zurück, »das ist fast so was wie mein dritter Wohnsitz!«
»Ja, weißt du, da ist was Komisches passiert. John sagt, in dem Sterbezimmer fehlt plötzlich dieser … wie sagt man … dieser kleine Stuhl für die Füße.«
Mir stockte fast der Atem. »Fußschemel«, ergänzte ich automatisch.
»Genau! Und es steht auf einem seltsamen Zettel dort, dass er restauriert wird. Aber ich war erst vor zwei Wochen dort und da sah dieser Fuß-sche-mel noch sehr gut aus!« Sie dehnte das Wort so lang, dass es einen grotesken, ja fast abstoßenden Klang bekam.
» Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis! «, stammelte ich.
4. An Luna
M
ir fiel nichts Besseres ein, als ein Magenproblem vorzutäuschen, was mir eigentlich sehr leidtat, denn die Pizza hatte wirklich hervorragend geschmeckt. Aber ich musste unter allen Umständen die von Benno verhängte Informationssperre einhalten, zumal ich Blume keine Argumente gegen mich liefern wollte. Hanna wusste sofort Bescheid und bemitleidete mich derart, dass es mir schon fast peinlich war.
Cindy und John sahen meine plötzlich auftauchende Übelkeit eher belustigt und ließen, unterstützt vom Wein, einige unfeine, aber lustige Bemerkungen fallen. Da es mir jedoch offiziell schlecht ging, durfte ich noch nicht einmal darüber lachen. Im Nachhinein hatte ich sogar den Eindruck,
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