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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
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war, also ging ich auf seine Forderung ein. Es war natürlich nichts.«
    »Ach, du liebe Zeit!«
    Sophie räusperte sich und senkte ihre Stimme. »Eigentlich darf ich das gar nicht sagen, aber ihr kennt ihn, es war der Sohn von Felix Gensing.«
    »Ah!«, sagte ich spontan.
    »Was heißt das denn?«, fragte Sophie.
    »Was meinst du?«
    »Na, dein promptes ›Ah‹!«
    »Ja nun, ich habe die Familie Gensing neulich zufällig in der Brasserie getroffen und … man sollte das sicher nicht überbewerten, aber ich hatte auch den Eindruck, dass der Sohn sich irgendwie komisch verhielt.«
    »Hmm«, machte Sophie nachdenklich, und ehe sie mich fragen konnte, was ich mit komisch meinte, kam Benno mit Kartoffelchips und Erdnüssen aus der Küche und fragte beschwingt: »Sag mal, Hanna, hättest du denn Goethe geheiratet?«
    Vor lauter Lachen hätte sie sich beinahe am guten Rotkäppchen-Sekt verschluckt. »Du meinst, wenn ich an der Stelle dieser Ulrike gewesen wäre?«
    »Ja, genau!«
    »Nein, sicher nicht«, antwortete Hanna sehr überlegt, »ich heirate nur einen Mann, für den ich Philosophin, Wegbereiterin, Kritikerin, Muse und Mitgestalterin in einer Person sein kann.«

     
    *
    Noch mehr als um seine Geburt kreisten seine Gedanken um den Tod. Genauer gesagt um seinen Tod. Manchmal wollte er möglichst lange leben, mindestens so lange wie Goethe. 82 Jahre immerhin. Doch in letzter Zeit konnte er sich immer häufiger auch ein kurzes, erfülltes Leben vorstellen. Vielleicht sogar kürzer als das Leben von Friedrich Schiller, der nur 46 Jahre alt geworden war, oder möglicherweise kürzer als das seines Klavieridols Franz Schubert. Kurz, aber erfüllt – eventuell war das besser als lang und nutzlos.
    ›Nicht der hat am meisten gelebt, der am meisten Jahre zählt, sondern der sie am tiefsten empfunden hat.‹ Das waren die Worte seines Lieblingsphilosophen Jean-Jacques Rousseau. Und irgendwie ahnte er, dass die Erfüllung seines Plans ihm ein kurzes, aber erfülltes Leben bescheren würde.
    Manchmal stellte er sich vor, was seine Mutter wohl sagen würde, wenn sie an seinem Grab stünde. Die Reaktion seines Vaters interessierte ihn nicht, nur die der Mutter.
    Goethes Mutter hatte ein robustes, teils derbes und widerstandsfähiges Wesen gehabt. Dazu diese bedingungslose Liebe zu ihrem Sohn, diese bis zur völligen Kritikunfähigkeit degradierte Mutterliebe. War es das, was ihn irgendwann eine fast ängstliche Distanz zu seiner Mutter hatte wahren lassen? Er hatte nicht gewollt, dass sie nach Weimar umzog, hatte sich in ihren letzten elf Lebensjahren völlig von ihr abgewandt und war sogar ihrer Beerdigung ferngeblieben. Er hatte zeitlebens die Gabe, sich weiterzuentwickeln und einen abgeschlossenen Lebensabschnitt hinter sich zu lassen wie ein pubertierender Jugendlicher, der den Schritt zum Erwachsensein vollzieht. Während einer dieser postpubertären Häutungen hatte er sich endgültig von seiner Mutter gelöst, konsequent und radikal.
    Aber er war noch nicht so weit, zuvor musste er seinen Plan in die Tat umsetzen. Zum zweiten Mal in dieser Woche gab es zum Abendessen Pfefferminztee. Er hasste Pfefferminztee und kippte ihn angewidert ins Spülbecken. Neben der Teetasse lagen seine Tabletten. Kurz entschlossen warf er sie ebenfalls ins Spülbecken und drehte den Wasserhahn auf. Niemand hatte ihn dabei beobachtet. Als er hinausging, sah ihm das Mädchen bewundernd nach. Er misstraute ihrem Blick, er verabscheute ihn sogar. Komisch, dachte er, die mich lieben, hasse ich und die mich hassen, liebe ich.

     
    *

     
    Der folgende Freitag war von allgemeiner Betriebsamkeit geprägt. Hauptkommissar Dorst und Kommissar Hermann waren mit der Auswertung der Spurensicherung vom Vortag aus dem Goethehaus beschäftigt und organisierten die 24-Stunden-Überwachung mithilfe der Museumsangestellten. Benno arbeitete mit dem Pressesprecher der Stadt Weimar an der Pressemitteilung und Martin Wenzel flog nach London, um die dort sichergestellte Zeichnung zu identifizieren. Hanna hatte Termine in der Gegend von Nordhausen und Sophie hatte den OP-Plan voll bis zum Abend. Ich vertiefte mich weiter in die Textanalyse und war mit dem Psychologen zum Mittagessen verabredet. Abends um 19 Uhr sollte das zweite Expertentreffen stattfinden, danach hatte ich mich locker mit Hanna auf ein Bier verabredet.
    Und der Täter plante seinen nächsten Raubzug.
    Ich machte mich zunächst daran, Quellen zum Hanswurst zu finden, was mir dank der Hilfe eines

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