Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)
sollten?«
Für
diesen blöden Satz hätte ich ihm am liebsten eine reingehauen. »Das Thema heißt
Benno.«
»Benno?«
»Genau.
Stadtrat Benno Kessler.« Ich versuchte, so neutral wie möglich zu klingen, um
nicht gleich eine unnötige Schärfe in unser Gespräch zu bringen.
Liebrich
schien einen Moment zu zögern, trat dann zur Seite. »Darf ich Sie
hereinbitten?«
»Dürfen
Sie«, antwortete ich.
Das
Innere des Hauses war weniger spektakulär als das Äußere. Liebrich führte mich
in eine Art Herrenzimmer. Altmodische Möbel, möglicherweise Antiquitäten, davon
verstand ich nichts, ein Kamin, auf dem ein Bild stand, das Liebrich, Dana
Hartmannsberger und einen Hund zeigte. Er bot mir einen Sitzplatz an, fragte
mich jedoch nicht, ob ich etwas trinken wolle, sondern setzte sich mit
selbstsicheren Bewegungen mir gegenüber.
»Herr
Liebrich, Sie haben sich in der letzten Zeit mit Benno angefreundet?«
»Ja,
das ist korrekt.«
»Nicht
dass Sie meinen, ich sei gegen diese Freundschaft …«
»Dieser
Gedanke lag mir bisher fern, aber nun, da Sie es erwähnen …«
Ich
musste aufpassen. »Nein, nein, keine Sorge. Freundschaft ist ja etwas Schönes.«
»Freundschaft,
ja, ja, dieser Zustand, in dem jeder der beiden glaubt, dem anderen gegenüber
eine leichte Überlegenheit zu haben.«
Ich sah
ihn erstaunt an. »Reinhardt Liebrich?«
»Nein,
Honoré de Balzac.«
Ȇberlegenheit,
so, so … wissen Sie, wo Benno ist?«
»Ich
bin dessen nicht ganz sicher, aber soweit mir zugetragen wurde, befindet er
sich in Frankfurt.«
Ich war
erstaunt, dass er dies so freimütig zugab, versuchte aber, es mir nicht
anmerken zu lassen. »Aha, wer hat Ihnen das denn zugetragen?«
»Herr
Kessler persönlich.«
»Ich
dachte, Sie duzen Benno.«
»Man
kann Freundschaft auch in der Sie-Form pflegen. Die Inhalte sind entscheidend,
nicht die Äußerlichkeiten. Können Sie mir da beipflichten, Herr Wilmut?«
»Natürlich,
Herr Liebrich, natürlich kann ich Ihnen da beipflichten.« Clever. Sehr clever.
Was auch immer passierte, später konnte ihm niemand eine anbiedernde
Verbrüderung vorwerfen.
»Warum
wollen Sie Benno unbedingt überreden, sich in Frankfurt zu bewerben?«
»Aber
Herr Wilmut, sind Sie bitte so freundlich, nicht von ›überreden‹ zu sprechen.
Das trifft nun wirklich nicht den Kern meiner Freundschaft mit Herrn Kessler.
Ich habe ihn beraten, ihm Hilfestellung gegeben, wie es unter Freunden üblich
ist. Er wollte Weimar schon seit geraumer Zeit verlassen, weil seine kreativen
Entfaltungsmöglichkeiten hier eingeschränkt sind. Und – wenn ich das so
formulieren darf – in unserem fortgeschrittenen Alter bleibt nur begrenzte
Zeit, seine Träume zu verwirklichen. Also: Carpe diem!«
Ich
nickte. »Das verstehe ich …«
»Lieber
Herr Wilmut«, unterbrach er mich, »ich möchte Sie bitten, sich an diese Worte
zu erinnern, sie nicht aus dem Sinn und dem Herzen zu verlieren. Jetzt täuschen
Sie vielleicht Verständnis vor, in der nächsten Szene haben Sie das
möglicherweise wieder vergessen, so etwas irritiert das Publikum!«
Mir
blieb fast die Spucke weg. Langsam begann ich zu begreifen, was manche Menschen
an ihm faszinierte. Dieser Mann war ein literarischer Verbalerotiker. Ich
lehnte mich ganz ruhig zurück und versuchte, gelassen zu wirken. Leute wie
Liebrich beobachteten genau die Körpersprache ihres Gegenübers. »Dem Publikum
gefällt es aber auch nicht, wenn der Held ein Heiratsversprechen abgibt«,
antwortete ich, »dieses widerruft, wieder erneuert und sich von einem windigen
Freund erneut davon abbringen lässt. Am Ende wird nämlich genau dieser Freund
vom Publikum verbal an die Wand genagelt!« Mir war selbst nicht klar, wo diese
Worte herkamen. Später, viel später, gewann ich den Eindruck, dass Goethes
Werke und sein Genius, mit dem ich mich so oft beschäftigt hatte, in diesem
Moment in mir wirkten. Liebrich war offensichtlich beeindruckt. Ich merkte das
genau, denn ich hatte meinerseits beschlossen, auf seine Körpersprache zu
achten. Er scharrte unruhig mit den Füßen auf dem Teppich. »Aha. Der
Goetheexperte. Clavigo?«
»Natürlich«,
erwiderte ich. »Und noch eins: Das Leben ist keine Theaterbühne. Bennos Frau …
ihr geht es nicht gut, es wäre sehr wichtig, dass er zurückkommt. Vielleicht
gibt es ja noch eine Möglichkeit, das Leben der beiden wieder
zusammenzuführen.«
»Eine
Entscheidung ist eine Entscheidung«, sagte er, » seine Entscheidung. Ich
sehe mich nicht in der Lage,
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