Götterbund (German Edition)
durchzustehen. Schon jetzt würde sie alles dafür geben, ein wenig frische Luft einatmen zu dürfen. Und etwas gegen die Langeweile unternehmen zu können. Nicht zuletzt deshalb wünschte sie sich Shaquess zurück. Seine Anwesenheit brachte wenigstens immer Unterhaltung mit sich. Obwohl oder vielleicht gerade weil er der undurchsichtigste Mensch war, den sie je getroffen hatte, fand sie die Gespräche mit ihm überaus reizvoll. Und schließlich blieb immer noch zu ergründen, wieso Shaquess überhaupt als Taissin arbeitete.
Als Yanna ein Geräusch von der Tür her hörte, wandte sie sich um. Ein zweiter Gardist betrat den Raum. Er trug ein Tablett vor sich.
Yannas Magen gab ein vernehmliches Knurren von sich. Endlich. Sie hatte schon angenommen, Rajatshas wollte sie nicht nur durch den Kerker, sondern auch durch Hunger zum Umdenken zwingen.
Der Gardist, der am Tisch saß, schielte ebenfalls neugierig auf das Tablett. „Sind das Magaven?“
Der zweite Gardist nickte. „Eine kleine Aufmerksamkeit des Königs.“
Yanna horchte auf. Magaven? Diese Früchte hatte sie noch nie gesehen, geschweige denn gegessen. Allerdings hatte sie von ihnen gehört. Der Palastgarten war der einzige Ort in ganz Fativa, an dem Magavenbäume wuchsen. Nur die Königsfamilie durfte davon essen. Manchmal, wenn ein Gardist oder Taissin eine besonders gute Leistung vollbracht hatte, schenkte der Regent ihm einige dieser kostbarsten aller Früchte.
Der Gardist, der die letzten Stunden bei Yanna verbracht hatte, schloss die Gittertür auf. Der andere stellte das Tablett in Yannas Zelle auf dem Boden ab.
Yanna beäugte misstrauisch die fingernagelgroßen, orangefarbenen Früchte, die mit etwas Zucker betreut worden waren. Zwar hatte sie sich immer schon gefragt, wie Magaven wohl schmecken mochten, doch in diesem Augenblick hätte sie sich lieber eine richtige Mahlzeit gewünscht. „Ich habe seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen“, ließ sie den Gardisten wissen, der die Magaven gebracht hatte und gerade dabei war, die Gittertür wieder zu schließen.
Der junge, dunkelhaarige Mann sah sie freundlich an. „Wie gesagt, das ist eine Aufmerksamkeit des Königs. Dein Abendessen bekommst du danach.“
Yanna erhob sich von ihrer Pritsche und setzte sich neben das Tablett auf den Boden. Vorsichtig nahm sie eine der Magaven zwischen Daumen und Zeigefinger. Der kristallklare Zucker glitzerte auf dem leuchtenden Orange. Erwartungsvoll steckte Yanna sich die Frucht in den Mund – und verzog das Gesicht. Angewidert schüttelte sie sich, doch schluckte die Magave trotzdem. Nie hatte sie etwas Widerlicheres gegessen. Wie schaffte es Rajatshas nur, diese Früchte hinunter zu würgen? Während Yanna versuchte, den bitteren Geschmack in ihrem Mund zu ignorieren, starrte sie nachdenklich die Früchte an. Wie konnte das sein? Dass eine Frucht, die schmeckte, als sei sie ungenießbar, als so kostbar galt? Yanna kam ein anderer Gedanke. Sie befeuchtete ihren Zeigefinger mit etwas Speichel und legte ihn auf das zuckerähnliche Pulver, so dass etwas davon an ihrer Haut haften blieb. Als sie vorsichtig an ihrem Finger leckte, musste Yanna aufgrund des penetranten, bitteren Geschmacks beinahe würgen. Sie hatte richtig vermutet. Nicht die Früchte waren die Quelle des widerlichen Geschmacks, sondern das kristallene Pulver, das sie für Zucker gehalten hatte.
Yanna blickte auf und sah, dass der Gardist im Vorraum sie mit erhobenen Augenbrauen musterte. „Was ist?“, fragte er.
Sie wollte ihm gerade antworten, als plötzlich Übelkeit in ihr hochstieg. „Mir geht es nicht gut.“ Sie stand auf, wankte zu ihrer Pritsche und ließ sich darauf nieder. Mit geschlossenen Augen atmete sie langsam ein und aus. Doch es half nichts. Im Gegenteil: Die Übelkeit wurde immer schlimmer. Yanna tastete nach ihrer Stirn und wischte den kalten Schweißfilm weg, der sich darauf gebildet hatte. „Etwas stimmt nicht“, ließ sie den Gardisten keuchend wissen und streckte sich auf der Pritsche aus. Im nächsten Moment krümmte sich ihr Körper. Ihr Bauch schmerzte so heftig, als hätte jemand hinein getreten. Sie rollte sich auf die Seite. Als sie kurz blinzelte, um zu sehen, ob der Gardist schon Hilfe holte, sah sie, dass Shaquess den Vorraum betreten hatte. „Was ist mit ihr?“, fragte er den anderen Gardisten.
„Sie hat von den Magaven probiert und kurz darauf gesagt, es ginge ihr nicht gut.“ Er schüttelte verwirrt den Kopf.
Schwer atmend ließ sich Yanna von der
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