Götterbund (German Edition)
Aber sie verstand seine Unruhe. Die Rebellenorganisation existierte nun schon seit über zwanzig Jahren und bisher waren keine bemerkenswerten Fortschritte zu verzeichnen gewesen. Die Rekrutierung neuer Rebellen verlief nur schleppend, da noch immer viel zu wenig Menschen in Fativa bereit waren, sich gegen das katastrophale Regime der Königsfamilie aufzulehnen. Mittlerweile schien selbst der Rebellenrat resigniert zu haben. Immer seltener plante er Aktionen, mit denen die Rebellen die Aufmerksamkeit der Leute auf sich lenken und diese zum Nachdenken bringen sollten. Yanna hatte den Verdacht, dass der Rat kaum noch damit rechnete, sein Ziel, Königin Schelash vom Thron zu stoßen, jemals zu erreichen.
„Nichts von alldem“, versetzte Malyn Ehliyans Freude einen Dämpfer. „Ihr sollt lediglich in das Haus eines Gardisten einbrechen und die Liste der Gesuchten stehlen.“
„Die haben wir doch längst.“ Ehliyans Stimme war die Enttäuschung deutlich anzuhören.
„Die alte, ja. Laut Lyza hat Schelash vor kurzem aber eine neue Liste veröffentlicht.“
„Was, wenn der Gardist zu Hause ist? Können wir ihn dann als Geisel mitbringen?“, fragte Ehliyan hoffnungsvoll.
„Es wird niemand zu Hause sein. Lyza hat uns versichert, dass der Gardist, der dieses Haus bewohnt, heute bis Sonnenuntergang in der Garde Dienst hat.“
„Wie langweilig.“
Malyn zuckte mit den Achseln. „Wenn ihr den Auftrag nicht wollt, geben wir ihn eben jemand anderem.“
„Das wäre ja noch schöner! Nein, wir machen das. Mit ein wenig Glück sieht ein Gardist, wie wir in das Haus einbrechen und will uns aufhalten.“
Malyn warf dem jungen Mann einen warnenden Blick zu.
Ehliyan grinste: „Welches Haus ist es?“
„Wenn ihr dem Weg von hier durch die Hauptstadt folgt, liegt es im weißen Viertel zu eurer Rechten. Das dritte in der ersten Reihe, direkt am Kanal. Eines der größten Häuser, ihr könnt es nicht verfehlen.“
„Eines der größten Häuser… “, wiederholte Ehliyan nachdenklich. Malyn nickte. „Du hast richtig geschlussfolgert. Es ist das Haus eines Taissins. Das von Shaquess, um genau zu sein.“
Ehliyan verdrehte die Augen. „Ausgerechnet der.“
Stirnrunzelnd blickte Yanna von Ehliyan zu Malyn und wieder zurück zu Ehliyan. „Du kennst ihn?“ Nur die vier besten Gardisten von Fativa trugen den Titel Taissin . Yanna konnte sich nicht erklären, woher Ehliyan mit einem von ihnen bekannt sein sollte.
„Flüchtig.“
Auf Yannas fragenden Blick hin, fügte er hinzu: „Du weißt doch, dass mein Vater früher in der Garde gedient hat. So kenne ich einige der Gardisten flüchtig. Und Shaquess ist wirklich schwer zu übersehen.“
Die Art, wie Ehliyan das sagte, machte Yanna neugierig. Bei der nächsten öffentlichen Veranstaltung müsste sie sich diesen Taissin namens Shaquess unbedingt genauer ansehen. Schade, dass sie das gestern bei Rajatshas’ Krönung noch nicht gewusst hatte. „Und dieser Shaquess lässt die Liste der Gesuchten einfach offen in seinem Haus herumliegen?“
„Unwahrscheinlich. Ihr werdet sie schon suchen müssen.“ Malyn sah Yanna eindringlich an. „Wir brauchen die neue Liste unbedingt. Wenn Rebellen darauf stehen, dürfen diese die Hauptstadt nicht mehr betreten, sonst laufen sie Gefahr, von den Gardisten erkannt und festgenommen zu werden.“
Yanna nickte. Das alles wusste sie selbst. Schließlich war das der Grund, warum diese Liste, auf der all diejenigen standen, die von der Regierung des Hochverrates oder anderer Vergehen verdächtigt wurden, unter Verschluss stand. Nur Gardisten durften sie einsehen. Damit die, deren Namen darauf standen, nicht untertauchten. Sondern sich weiter ahnungslos in der Hauptstadt bewegten, bis sie von der königlichen Garde gefasst wurden. Yannas Blick schweifte zu Ehliyan, der plötzlich ganz still geworden war. Unruhig kaute er auf seiner Unterlippe herum.
Yanna runzelte die Stirn. „Was ist?“
Ehliyan warf Malyn einen Blick zu.
Der Ratsvorsitzende schien zu verstehen. „Es ist unwahrscheinlich, dass einer von euch beiden auf der Liste steht. Hätten wir Grund, das Gegenteil anzunehmen, wäre unsere Wahl für diesen Auftrag nicht auf euch gefallen.“
Ehliyan nickte stumm.
Yanna schüttelte den Kopf. Manchmal begriff sie nicht, was zwischen Ehliyan und Malyn vorging. Obwohl sie sich noch nicht lange gekannt hatten, bevor sie zusammen hier eingezogen waren, schienen sie sich oft ohne Worte zu verstehen.
„Komm. Lass uns gehen.“
Weitere Kostenlose Bücher