Götterbund (German Edition)
Ehliyan war bereits auf dem Weg zur Tür.
„Warum besorgt uns nicht einfach Lyza die neue Liste? Von ihr haben wir doch auch die letzte bekommen.“
Malyn blickte Yanna stumm an. Er schien mit dieser Frage nicht gerechnet zu haben.
Da wandte sich Thoran um, der gerade die Reste von Ehliyans Frühstück wieder im Schrank verstaut hatte. „Wir haben sie darum gebeten, doch die Sache ist ihr zu gefährlich. Schon als sie uns die letzte Liste beschafft hat, war es angeblich ziemlich knapp. Wenn sie dabei erwischt wird, wie sie die Liste abschreibt, würden ihr eine Menge unangenehmer Fragen gestellt werden. Und wenn herauskommt, dass sie uns gelegentlich Informationen verkauft, erwartet sie die Todesstrafe.“
Yanna nickte langsam und wandte sich um. Einmal mehr fragte sie sich, warum diese Gardistin Lyza, die sie noch nie gesehen hatte, überhaupt mit den Rebellen kooperierte. Als Gardistin verdiente sie ohnehin gut, also konnte das Geld, das sie von den Rebellen für ihre Informationen bekam, wirklich ein Grund sein? Vor allem, wenn bedachte, was ihr blühte, wenn sie aufflog.
„Yanna, träumst du? Komm endlich.“ Ehliyan hatte bereits sein Schwert auf den Rücken geschnallt und war gerade dabei, sich den Umhang überzuwerfen.
Yanna musterte Malyn ein letztes Mal, dann griff sie ebenfalls nach Schwert und Umhang und trat hinter Ehliyan ins Freie.
Ihr Haus lag nicht weit von der Hauptstadt entfernt. So mussten sie nicht lange gehen, bis der schmale Waldpfad in eine gepflasterte Straße überging. Die Bäume rechts und links des Weges verschwanden und wurden durch heruntergekommene, kleine Häuser ersetzt.
„Widerlich“, kommentierte Ehliyan, als er kurz stehen blieb und das Bild auf sich wirken ließ.
Graue, heruntergekommene Häuser drängten sich dicht aneinander.
Es war ein krasser Gegensatz zu dem Bild, das sich einem bot, wenn man den Blick zur Mitte der Hauptstadt richtete. Dort prangte der mächtige, aus blutroten Ziegeln erbaute Palast, der auf einer Erhöhung erbaut worden und nicht zu übersehen war. Um ihn herum waren in ordentlichen Kreisen Häuser angeordnet, die mit ihren schäbigen Geschwistern im Rest der Hauptstadt nichts gemein hatten. Nicht umsonst wurde der Wohnbereich in der Nähe des Palastes im Volksmund Weißes Viertel genannt. Die Häuser, die dort standen, waren ohne Ausnahme schneeweiß gestrichen und sehr viel größer als gewöhnliche Behausungen. In ihnen wohnten die Adelsfamilien von Fativa. Jene Familien, von denen mindestens ein Mitglied der königlichen Garde angehörte und sein Leben der Aufgabe gewidmet hatte, die Königsfamilie zu schützen.
„Der Anblick macht mich krank.“
„Ich weiß“, seufzte Yanna. Sie setzten ihren Weg entlang der Hauptstraße fort, die direkt ins Weiße Viertel und zum Palast führte.
„Bald ist wieder Monatsanfang und die Leute müssen ihre Abgaben leisten. Egal, ob sie danach noch genug für sich selbst haben. Und wofür? Nur damit an jeder Ecke dieser verfluchten Stadt ein Gardist steht.“ Ehliyan senkte die Stimme, als sie in diesem Moment einen jener Gardisten passierten. Unbeweglich stand er in seiner schwarzen Uniform da, doch seine Augen musterten aufmerksam jeden vorbeilaufenden Passanten.
„Macht dich das nicht auch wahnsinnig?“, wollte Ehliyan wissen, als sie den Gardisten hinter sich gelassen hatten. „Zu wissen, wie schlecht es den Menschen geht und nichts dagegen tun zu können?“
„Wir tun doch etwas dagegen.“
„Ach ja? Und was? In das Haus eines Gardisten einbrechen und die Liste der Gesuchten stehlen? Du hast Recht, damit können wir wirklich ganz Fativa verändern.“
„Was sollen wir deiner Meinung nach tun? Was würdest du vorschlagen, wenn du im Rebellenrat sitzen würdest?“
Ehliyan überlegte einen Moment, dann sagte er: „Schelash töten.“
„Und wie? Malyn hat es mehrmals versucht, als er noch Spion in der Garde war. Schelash hat zu jeder Zeit so viele Gardisten um sich, dass ein Attentat unmöglich ist. Außerdem ist das so leicht gesagt: Jemanden töten. Könntest du dir vorstellen, es zu tun? Mit deinen eigenen Händen das Schwert zu führen, das sie tötet?“
Ehliyan antwortete nicht.
Sie liefen eine Weile schweigend nebeneinander her, so dass Yanna annahm, Ehliyan wollte das Thema lieber fallen lassen. Dann spürte sie plötzlich seinen Blick auf sich und wandte den Kopf.
„Ich würde sie töten.“
Überrascht blieb Yanna stehen. Die Entschiedenheit in Ehliyans Stimme jagte
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