Götterbund (German Edition)
bewirken wollte. Es war falsch.“
Yanna wollte frustriert aufschreien, weil Rajatshas einfach nicht zu verstehen schien, was sie sagen wollte. Stattdessen zwang sie sich zu einem Nicken. „Du hast Recht. Was Casaquann getan hat, war falsch. Aber er ist ein Gott, der nur das Beste für Fativa will. Zieh doch wenigstens in Erwägung, dass er einen Grund gehabt haben muss, um den Versuch mit den Zwillingsseelen zu wagen.“ Yanna wünschte sich nichts sehnlicher, als dass Rajatshas wenigstens einen Funken Einsicht zeigte. Doch sie sah an seinem Blick, dass es zwecklos war.
„Wie soll es jetzt weiter gehen?“ Yanna fühlte sich völlig kraftlos. Sie hatte es weder geschafft, Rajatshas zu töten, noch, ihn zur Einsicht zu bewegen. Er würde weiter auf seine Weise herrschen. Und sie? Sie würde sich für den Rest ihres Lebens Vorwürfe machen, weil sie es nicht geschafft hatte, die Menschen in Fativa von ihrem Elend zu erlösen. Zum ersten Mal verstand sie, wie Ehliyan sich fühlen musste, weil er es damals nicht übers Herz gebracht hatte, Schelash zu töten.
Yanna hielt entsetzt in ihren Gedanken inne. Ehliyan. Er verließ sich auf sie. Vertraute darauf, dass sie Rajatshas tötete und ihm damit seine Freiheit wiedergab. Nun würde er weiterhin aus der Hauptstadt ausgesperrt bleiben, ebenso wie Lyza. Auch Malyn und Thoran zählten auf sie, ebenso wie Amjen und der Rest der Rebellen. Wie sollte sie ihnen erklären, dass sie zu schwach gewesen war, Fativa zu helfen? Sie begriffen nicht, was es bedeutete, jemandem auf diese Weise nah zu sein. Wie sollten sie auch?
Plötzlich überkam Yanna kalte Wut. Wie hatten sie ihr diese Last aufbürden können? Wie oft hatte sie versucht, ihnen ihr ambivalentes Verhältnis zu Rajatshas zu erklären! Nichts hatten sie verstanden! Sonst hätten sie sie niemals darum gebeten, ihre Zwillingsseele zu ermorden. Bitter lachte Yanna auf.
„Du verstehst es langsam“, stellte Rajatshas fest. „Du beginnst zu begreifen, dass deine so genannte Familie es nicht wert ist, als eine solche bezeichnet zu werden. Niemand kann nachvollziehen, wie wir uns fühlen.“
Yanna schüttelte den Kopf. Tränen stiegen ihr in die Augen. „Sie verstehen nicht, wie es für uns ist. Aber dafür verstehst du so viele andere Dinge nicht.“
„Hast du schon einmal in Erwägung gezogen, dass du diejenige bist, die nicht versteht?“, fragte Rajatshas, plötzlich wütend. „Hast du dich auch nur einmal gefragt, ob Schelash vielleicht einen Grund hatte, so zu regieren, wie sie es getan hat?“
„Hatte sie das?“
„Natürlich!“, rief Rajatshas aufgebracht. „Hast du nie davon gehört, dass ihre Mutter – unsere Großmutter – von Fanatikern ermordet wurde? Und dass Schelash erst danach begann, all die Gardisten einzustellen? Nämlich, weil sie um die Sicherheit unserer Familie bangte?“
„Nein. Das wusste ich nicht.“ Königin Chandel war lange vor ihrer Geburt gestorben. Sie dachte an die Situation, in der Thoran ihr vor einigen Tagen zum ersten Mal von ihren wahren Eltern erzählt und dabei auch ihre Großmutter erwähnt hatte. Er wusste sicher, was damals geschehen war. Aber vielleicht hatte er es auch einfach nicht für wichtig befunden, über die Todesumstände seiner toten Frau zu berichten. Änderte es überhaupt etwas? Zumindest erklärte es bis zu einem gewissen Punkt Schelashs Verhalten. Als Chandel gestorben und ihr den Thron überlassen hatte, war Schelash noch sehr jung gewesen. Die Tatsache, dass ihre Mutter von Fanatikern getötet worden war, musste sie hart getroffen haben. Doch Casaquann hatte Yanna erzählt, dass Schelash schon immer machthungrig gewesen war und dieser Charakterzug durch die Verbindung mit ihrer Schutzgöttin Kaiya noch verstärkt wurde. Möglicherweise war der Mord an ihrer Mutter also tatsächlich der Auslöser gewesen – aber sicher nicht die Ursache.
„Du irrst dich“, sagte Yanna langsam, obwohl sie wusste, dass es keinen Sinn hatte.
„Was weißt du schon! Du bist nicht im Palast aufgewachsen. Du hast keine Ahnung von unserer Familie oder vom Regieren.“
„Und du hast keine Ahnung von den Menschen oder von Menschlichkeit.“ Yanna sah jetzt klarer denn je: Die Tatsache, dass sie beide zwar verbunden, aber in vollkommen unterschiedlichen Welten aufgewachsen waren, würde sie ihr ganzes Leben lang leiden lassen. Es würde immer so weiter gehen wie jetzt. Yannas Leben wäre ein Gefühlschaos aus Verzweiflung, Hass und Nähe. Es gab keine Lösung,
Weitere Kostenlose Bücher