Götterbund (German Edition)
nichts, was sie dagegen tun konnte. Außer…
Sie hielt in ihren Gedanken inne. Warum eigentlich nicht? Warum nicht einfach alles hinter sich lassen?
„Ich gehe“, stieß sie hervor. Die Aufregung ließ ihr Herz schneller schlagen. „Ich gehe und betrete die Hauptstadt nie wieder. Vielleicht werden wir beide irgendwann lernen, loszulassen.“ Warum war sie nicht schon früher darauf gekommen? Wenn Rajatshas wusste, dass sie weit weg war, dass sie nichts mehr von dem, was in der Hauptstadt geschah, mitbekam, würde er sich vielleicht wieder beruhigen. Dann würde er vielleicht keinen Sinn mehr darin sehen, die Menschen, die ihr nahe standen, als Zielscheiben zu wählen. Möglicherweise konnte sie es sogar schaffen, die mentale Verbindung zwischen ihnen zu schließen. Damit er sie nicht sehen lassen konnte, was er tat. Dann wären zumindest ihre Freunde in Sicherheit.
Rajatshas betrachtete sie mit einem undeutbaren Blick in den grauen Augen. Yanna spürte, dass er skeptisch war. Er glaubte nicht, dass Distanz die Lösung sein würde.
Doch es war unwichtig, was Rajatshas dachte. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Und sie wollte daran glauben, dass es den gewünschten Erfolg mit sich bringen würde. Es musste funktionieren. Es musste.
„Leb wohl“, sagte sie, bevor sie sich abwandte. Kurz, bevor sie um die Ecke bog, drehte sie sich noch einmal um. Rajatshas stand noch immer am selben Fleck und blickte ihr nach. Kurz meinte Yanna, etwas in seinen Augen erkennen zu können. Etwas, das sehr nach Hoffnung aussah.
Kaum hatte Yanna die Stufen erreicht, begann sie zu rennen. Sie hatte lange mit Rajatshas geredet, so lange, dass die Rebellen sicherlich bald jemanden in die Hauptstadt schicken würden, um nach ihr zu sehen. Sie konnte nicht zurück ins Haus, also musste sie sich an anderer Stelle Proviant beschaffen. Sie schlug den Weg zum Markt ein. Im Gedränge, das dort herrschte, rempelte sie unzählige Menschen an und wippte ungeduldig hin und her, wenn sie an einem Stand warten musste. War Thoran schon auf der Suche nach ihr? Oder vielleicht Amjen oder jemand anderes? Sie kaufte genug Proviant für mehrere Tage, außerdem eine kleine Rolle Pergament, eine Rohrfeder und ein Tintenstück. Sie zog sich an den Rand des Marktes zurück, rollte das Pergament aus und löste einen Teil der Tinte mit etwas Wasser auf. Hektisch begann sie zu schreiben. Ihre Hand zitterte so stark, dass sie fürchtete, die Worte würden später kaum zu entziffern sein. Als sie fertig war, ließ sie die Tinte und die Feder einfach liegen, blies kurz über das frisch beschriebene Pergament und rollte es zusammen. Die Tinte war noch nicht getrocknet und würde verschmieren, aber sie hatte keine Zeit. Es musste so gehen.
Sie eilte zurück ins Weiße Viertel. Bevor sie es betrat, sah sie sich kurz um – doch es war kein Gardist in Sicht. Im nächsten Moment stand sie vor Shaquess’ Haus, rollte das Pergament aus und schob es unter der Tür hindurch. Dann drehte sie sich um und hetzte davon.
Sie rannte und rannte, kümmerte sich nicht um ihren Atem, der immer keuchender wurde und das schmerzhafte Seitenstechen. Sie ließ die Hauptstadt hinter sich und schlug einen weiten Bogen um das Haus, in dem Ehliyan, Thoran und Malyn auf sie warteten. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Wie weit war sie schon gelaufen? Würde sie bald auf die erste kleine Siedlung außerhalb der Hauptstadt treffen? Oder würde das noch Stunden dauern?
Yannas Gedanken wirbelten strukturlos durcheinander. Jetzt würde sich ihr Traum, auf dem Land weit abseits der Hauptstadt zu leben, endlich erfüllen. Seit sie denken konnte, hatte sie davon geträumt. Allerdings war sie in ihrer Vorstellung nie allein gewesen. Sie hatte immer geglaubt, dass Thoran, Malyn und Ehliyan mitkommen würden. Obwohl sie mit ihnen nie darüber gesprochen hatte, obwohl sie wusste, dass Ehliyan in der Hauptstadt aufgewachsen war und diese liebte, hatte sie sich nicht ein einziges Mal ein Leben ohne ihre Familie vorgestellt. Sie hätte es wirklich besser wissen müssen. Im Grunde gab es nur einen einzigen Menschen, der sie wirklich verstand. Doch ausgerechnet der hatte genug eigenen Probleme, war verstrickt in Rachegedanken, die ihn an Rajatshas ketteten. Trotzdem wünschte sie sich mehr als alles andere, dass sie Shaquess eines Tages wieder sehen würde.
Yannas Keuchen wurde immer lauter und die Schmerzen unerträglich. Erschöpft ließ sie sich auf die Knie sinken, stützte die Hände
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