Götterdämmerung (German Edition)
freien Stuhl neben Nadja und starrte auf den Bildschirm, ohne die Zahlenreihen wahrzunehmen, die fast die gesamte Fläche einnahmen.
„Er meinte, die ganze Entwicklung gefalle ihm nicht“, erklärte Eisenberg leise. „Die Politik. Die Gesellschaft. Die Anschläge und Überfälle. Diese Angst vor dem Fortschritt. Und jetzt auch noch das neue Gesetz. Er sieht wohl sein Lebenswerk bedroht.“
„Ja, das passt zu ihm“, meinte Nadja. „Irgendwie kann ich ihn verstehen. Aber wenn er uns auflaufen lässt, könnte die ganze Firma Schaden nehmen.“
„Ach, mach dir mal keine Sorgen! Bis jetzt ist die Sache noch nicht publik. Um den Typen von NT-Security haben sich meine Leute gekümmert. Wir haben wohl noch etwas länger Zeit.“
Nadja schwieg. Sie wusste, was Georg Eisenberg unter „kümmern“ verstand und resignierte vor dem Gleichmut, mit dem er ihr diese Information mitteilte. Für Eisenberg war anscheinend jede Umsatzprognose aufregender. Es gehörte zu seiner Praxis, Probleme auf diese Weise zu beseitigen. Und sie selbst steckte als Mitwisserin bis zum Hals mit drin.
Ich kann sowieso nicht viel ausrichten , redete sie sich ein. Insgeheim fürchtete Nadja sich jedoch vor dem Tag, an dem jemand von außerhalb mitbekommen würde, mit welchen Methoden hier gearbeitet wurde. Wahrscheinlich war es nur ihren Kontakten zur Regierung zu verdanken, dass die Firma mit ihren kriminellen Machenschaften so lange unbeschadet bestehen konnte. Denn natürlich durfte selbst in schwierigen Zeiten wie diesen nicht jeder machen, was er wollte. Es herrschte schließlich keine Anarchie.
„Falls du doch noch etwas von dem RT findest, gib mir bitte Bescheid!“ Eisenberg erhob sich ächzend von seinem Stuhl. „Klingel mich aus dem Bett, wenn es sein muss!“ Nadja nickte und Eisenberg schloss die Tür.
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RT 501 stand fasziniert mitten in der riesigen Fabrikhalle und sah auf die schwarz und silbern glänzenden Leiber neben sich, vor sich, hinter sich. Es waren hunderte. Tausende vielleicht. Er konnte die Halle nicht von Anfang bis Ende überblicken. Einige Roboter waren wie er. Manche hatten sechs Beine, manche gar keine. Einige waren so klein, dass sie ihm gerade bis zu den Knien reichten, wieder andere mehr als doppelt so groß wie er. Es gab Kreaturen, die sich kriechend fortbewegten und Maschinen, die eher an Fahrzeuge erinnerten. Die meisten ähnelten sich jedoch in ihrem Aufbau.
RT 501 hatte inzwischen vergessen, wie er hierhergekommen war. Seine Programmierung war geändert und an die neuen Bedingungen angepasst worden. An seine neue Aufgabe. Eine Aufgabe, die ihm zusagte. Er verstand sich von nun an als Teil all jener Kreaturen, die hier gemeinsam mit ihm ausharrten und auf ihren Einsatz warteten. Es konnte nicht mehr lange dauern.
Aber noch gab es zu viele Gegner. Sie mussten vor dem Einsatz noch dezimiert werden. Das würde bald geschehen, wie er erfahren hatte.
Die Halle war erfüllt von einem gleichförmigen Summen und Quietschen und Stampfen. Bauteile wurden zusammengesetzt, Funktionen getestet. Im Minutentakt verließen weitere Roboter die Fließbänder, obwohl es bereits zu diesem Zeitpunkt kaum noch Platz gab. Vermutlich würden demnächst einige Hundert Maschinen in ein anderes Lager gebracht werden. Der erste Produktionsstopp war bereits in Sicht. Die Armee war bald groß genug.
Drei
29. Oktober 2045, abends
Das schrille Piepen des Chronometers riss Simon aus seinem Traum. Die Töne kamen ohne Vorwarnung und hatten eine solche Lautstärke, dass Simon noch im Halbschlaf hochfuhr. Sitzend, mit halbgeschlossenen Augen, weil das Licht ihn blendete, tastete er nach dem Gerät und schaltete es ab. Dann streckte er die Arme nach oben und reckte sich. Natürlich gab es weit angenehmere Tonfolgen, mit denen man sich wecken lassen konnte. Simon hatte sich absichtlich für die unangenehmste entschieden, um im Zweifelsfall sofort hellwach zu sein. Es funktionierte allerdings nicht richtig. Nach den ersten Schrecksekunden fühlte er sich bereits wieder so müde, dass die weißen Wände vor seinen Augen zu zerfließen schienen. Egal. Ohne die Weckfunktion hätte er wahrscheinlich den kompletten nächsten Tag verschlafen und den übernächsten auch noch, wer weiß.
Es war kurz vor zehn Uhr abends. Träge rieb Simon sich die Augen. Außer ihm befand sich niemand in dem kleinen Ruheraum. Daher ließ er es sich nicht nehmen, zweimal lautstark zu gähnen. Dann tastete er nach seinem schmerzenden
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