Göttertrank
blaugrünen, mit zarten Spitzen besetzten, duftigen Musselin.
»Welche Freude!«, rief de Valmont aus und nahm Dorothea am Ellenbogen. »Einen schönen guten Tag, meine Damen«, grüßte er die Entgegenkommenden. »Mademoiselle Dotty, darf ich Ihnen …«
»Ich kenne die Serviermädchen aus dem Café, Herr de Valmont. Ich pflege keinen gesellschaftlichen Verkehr mit Dienstpersonal.«
Verstört sah der Franzose sie an. Amara aber murmelte leise: »Beware of hunting cats, Gil!«, dann schritten sie und Melisande mit einem höflichen Kopfnicken an ihm vorbei.
»Mademoiselle, diese Damen sind gute Freundinnen von Jan und mir«, beeilte sich Gilbert zu erklären, und Dorothea erkannte ihren fatalen Missgriff. Wortreich suchte sie Erklärungen für ihre ablehnende Bemerkung, doch Valmont, der deutschen Sprache noch nicht so mächtig, verstand nur die Hälfte davon. Immerhin machte er auf dem Rückweg verbindlich Konversation, und Dotty schlug ihm vor, sich in den nächsten Tagen in Nadinas Café zu treffen, um ihren guten Willen zu zeigen.
Doch schon am Abend begann sie, ihren Racheplan zu schmieden. Noch einmal würde Amara ihr nicht in die Quere kommen.
Ein offensichtlicher Mord
Es ist ein Schnitter, heißt der Tod
Hat Gwalt vom großen Gott:
Heut wetzt er das Messer,
es schneidt schon viel besser.
Volkslied
Jan Martin und Gilbert waren inzwischen Stammgäste in unserem Café geworden, und Nadina, geschäftstüchtig wie immer, hatte ihnen einen ständigen Tisch reserviert. Nicht jedoch in einer ungestörten Fensternische, sondern direkt vor den Vitrinen, in denen sie das Gebäck ausstellte. Dieses Arrangement hatte sie gewählt, weil die beiden sich untereinander auf Englisch unterhielten. Sie erklärte, dieser Umstand verleihe dem Café ein so weltläufiges Flair. Tatsächlich erschienen seither häufig reiselustige Briten, denn es hatte sich herumgesprochen, dass die Bedienung ihre Sprache beherrschte.
Melisande und ich hatten uns über den Zwischenfall im Tiergarten köstlich amüsiert. Gilbert hatte, wie wir natürlich wussten, keinerlei Absicht – entgegen seinen Beteuerungen, unbedingt eine blonde Gattin heimführen zu wollen -, sich ernsthaft um die Baroness zu bewerben. Zum einen entwickelte er eine ausgesprochene Neigung zu mir, zum anderen hatte Melisande ihn über Dorotheas Ruf unverblümt aufgeklärt. Beides war möglich, da Jan und Gilbert wirklich zu unseren guten Freunden geworden waren. Diese Freundschaft hatte gleich am nächsten Morgen, als sie ihr Frühstück bei uns einnahmen, mit Gilberts Frage begonnen, woher ich das Rezept für den Batido kannte. Mit einem Augenzwinkern beschied ich ihm: »Von einem Schuljungen.«
»Lehrt man die Kakaozubereitung etwa an den Berliner Knabenschulen?«, warf Jan Martin ein.
»Nein, Herr Jantzen. Der junge Mann hat einen Onkel, der viel in der Welt herumkommt. Von ihm hat er gehört, dass die Spanier es von den Amerikanern übernommen haben.«
Verdutzt beobachtete ich, wie die beiden Männer sich ansahen und wie aus einem Munde sagten: »Lothar?«
»Pardon? Ja, Maximilians Onkel heißt Lothar.«
»Fräulein Amara, setzen Sie sich doch einen Moment zu uns und erzählen Sie uns mehr von dem Jungen.«
»Nein, meine Herren, es gehört sich nicht, dass ich mich zu den Gästen setze.«
»Ach was, es sind doch nur drei Herren anwesend, und die haben sich hinter ihren Zeitungen versteckt.«
Ich zögerte einen Moment, dann aber hockte ich mich auf die Stuhlkante und berichtete von Maximilian von Briesnitz, der inzwischen in Paris seinen Studien nachging. Jan Martin hingegen erzählte mir von seiner ersten Begegnung mit dessen Onkel Lothar de Haye, die bereits in Bremen stattgefunden hatte. Doch dann kamen die Mittagsgäste, und mich rief die Pflicht. Doch meine Neugier war geweckt, und so lud ich, mit Nadines Einverständnis und zu Mellis großer Freude, Jan Martin und Gilbert ab diesem Zeitpunkt in ruhigen Geschäftszeiten oder am späteren Abend ohne Umstände in die Küche ein, wo wir uns gemütlich am Tisch zusammensetzten und bei Kaffee und Kakao über allerlei Themen schwatzten. Jan Martin erweiterte mein Wissen über das Importgeschäft, Gilbert das über den Anbau von Kakao, Melisande wollte Shantys lernen und bekam als Draufgabe einige karibische Lieder beigebracht, deren fremder Rhythmus sie begeisterte. Wir hingegen machten die Besucher mit den Berliner Eigenarten vertraut, gaben ihnen Hinweise, was zu besichtigen und was zu meiden war,
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