Goettin in Gummistiefeln
sinken. Auf einmal bin ich so erschöpft, dass ich mich nicht mehr rühren kann. Jeder Muskel in meinem Körper brennt, sogar an Stellen, wo ich nie Muskeln vermutet hätte. Ich fühle mich, als hätte ich einen Marathon hinter mir. Oder den Ärmelkanal durchschwömmen. Und dabei gehören noch die Holzmöbel poliert und die Matten ausgeklopft.
»Es ... ist schwerer, als ich dachte«, gebe ich schließlich zu. »Viel schwerer.«
»Mhm.« Er nickt, mustert mich genauer. »Was hast du mit deinen Haaren gemacht?«
»Bleiche«, sage ich kurz angebunden. »Beim Kloputzen.«
Er lacht schnaubend, aber ich bin zu müde, um den Kopf zu heben. Um ehrlich zu sein, mir ist alles egal.
»Hart arbeiten kannst du ja«, meint er. »Das muss man dir lassen. Und mit der Zeit bekommst du Routine -«
»Ich kann das nicht.« Die Worte sind heraus, bevor ich es verhindern kann. »Ich hab keinen blassen Schimmer, was ich hier tun soll. Ich bin ... eine totale Niete.«
»Klar kriegst du das hin.« Er kramt in seinem Rucksack und holt eine Dose Cola heraus. »Hier, trink das. Ohne Treibstoff kann kein Mensch arbeiten.«
»Danke.« Ich nehme ihm die Cola dankbar ab und öffne sie. Der erste Schluck ist das Köstlichste, was mir je durch die ausgedörrte Kehle geronnen ist. Rasch nehme ich noch einen. Und noch einen.
»Das Angebot steht noch«, sagt er nach einer kurzen Pause. »Meine Mutter würde dir helfen, wenn du willst.«
»Echt?« Ich wische mir den Mund ab, streiche die verschwitzten Haare aus dem Gesicht und schaue zu ihm hoch. »Das ... das würde sie?«
»Meine Mum Hebt Herausforderungen.« Nathaniel schmunzelt. »Sie wird dir zeigen, wie man sich in einer Küche zurechtfindet. Und auch alles andere, was du brauchst.« Er wirft einen neugierigen Blick auf den verschmierten Spiegel.
Das ist so demütigend. Ich lasse den Kopf hängen. Ich will keine Niete sein. Ich will keine Nachhilfestunden bekommen. Das passt nicht zu mir. Das bin ich nicht. Ich will das alles alleine schaffen, ohne fremde Hilfe.
Aber ich muss der Wahrheit ins Auge sehen: Ohne fremde Hilfe schaffe ich es einfach nicht.
Und ganz abgesehen von allem anderen - wenn ich so weitermache, wie heute, bin ich in zwei Wochen pleite.
Ich schaue wieder zu Nathaniel hoch.
»Das wäre wirklich nett«, sage ich demütig. »Ich wäre ihr echt dankbar.«
12
Samstagmorgen springe ich hektisch aus dem Bett, in Gedanken schon bei allem, was es zu tun gibt.
Doch dann erstarre ich, kann mich eine Sekunde lang nicht rühren. Mit einem ganz komischen Gefühl sinke ich ins Bett zurück.
Ich habe gar nichts zu tun.
Keine Verträge durchzusehen, keine E-Mails zu beantworten, keine kurzfristig angesetzten Meetings in der Kanzlei. Nichts.
Stirnrunzelnd überlege ich, wann ich das letzte Mal überhaupt nichts zu tun hatte. Ich weiß nicht mehr. Eigentlich nie, das heißt, eigentlich hatte ich immer was zu tun, so ungefähr seit meinem siebten Lebensjahr, wie mir scheint. Ich stehe auf, trete ans Fenster und starre auf den frühmorgendlichen Garten hinaus, über dem sich ein zartblauer Himmel wölbt. Ich kann es kaum fassen. Mein freier Tag. Niemand kann mir sagen, was ich zu tun habe. Niemand kann mich anrufen und verlangen, dass ich komme. Dies ist mein Tag, meine freie Zeit. Meine freie Zeit.
Während ich so am Fenster stehe und diesen Gedanken einsinken lasse, keimt ein ganz komisches Gefühl in mir auf. Ein leichtes, prickelndes Gefühl, wie ein mit Helium gefüllter Luftballon. Ich bin frei. Ich sehe mein Gesicht in der Fensterscheibe: Ein Strahlen breitet sich darauf aus. Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich tun und lassen, was ich will.
Ich werfe einen Blick auf die Uhr - erst Viertel nach sieben! Der ganze Tag erstreckt sich vor mir wie ein unbeschriebenes Blatt. Was tun? Wo beginnen? Noch so eine Prickelblase blubbert in mir hoch, und ich muss an mich halten, um nicht laut aufzulachen.
Schon beginne ich, meinen Tag im Geiste zu planen. Aber nicht in Sechs-Minuten-Segmenten! Ich habe keine Eile. Ich werde ihn in Stundenabschnitte einteilen! Eine Stunde, um mich so richtig schön in der Badewanne zu aalen und mich hübsch anzuziehen. Eine Stunde für ein ausgiebiges Frühstück. Eine Stunde fürs Zeitungslesen, aber von ganz vorne bis ganz hinten! Ich werde mir den allerfaulsten Vormittag machen, den ich je in meinem Erwachsenenleben hatte.
Mit schmerzenden Muskeln hopple ich ins Bad. Manno, da sind Muskeln darunter, von deren Existenz ich erst jetzt erfahre.
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