Goettin in Gummistiefeln
einfach genug ...« Sie fährt mit dem Finger über die Zeilen und blickt schließlich mit einem leichten Stirnrunzeln auf. »Ich kann dir alles, was da draufsteht, beibringen, Samantha, aber das wird nicht leicht. Wenn du wirklich noch nie was gekocht hast.« Sie wirft Nathaniel einen Blick zu. »Ich weiß nicht, ob ...«
Ein Schrecken durchzuckt mich, als ich ihre Miene sehe. Bitte, jetzt bloß keinen Rückzieher machen.
»Ich bin eigentlich nicht schwer von Kapee.« Ich beuge mich vor. »Und ich kann hart arbeiten. Ich tue alles. Bitte, ich möchte das so gerne lernen ...«
Ich blicke sie flehentlich an. Bitte. Ich will das schaffen.
»Also gut«, sagt Iris schließlich. »Dann wollen wir uns mal an die Arbeit machen.«
Sie holt eine Waage aus einem Schränkchen, und ich nutze die Gelegenheit, um Block und Bleistift aus meiner Handtasche hervorzukramen. Als Iris sich umdreht, sieht sie mich verwundert an.
»Wozu soll das gut sein?« Sie deutet mit einer Kopfbewegung auf meinen Block.
»Damit ich mir Notizen machen kann«, erkläre ich. Ich schreibe das Datum an den oberen rechten Blattrand und darunter die Überschrift: »Erste Kochstunde«. Nachdem ich das unterstrichen habe, blicke ich eifrig auf. Iris schüttelt langsam den Kopf.
»Samantha, du brauchst dir keine Notizen zu machen. Beim Kochen geht‘s nicht ums Auswendiglernen. Es geht ums Schmecken. Fühlen. Tasten. Riechen.«
»Ach so, ja.« Ich nicke eifrig.
Das muss ich mir merken. Rasch ziehe ich die Kappe von meinem Stift ab und kritzle: »Kochen = Schmecken, Riechen, Fühlen, etc.« Ich mache den Stift wieder zu und blicke auf. Iris schaut mich ungläubig an.
»Schmecken«, sagt sie und nimmt mir Papier und Stift aus der Hand. »Nicht Aufschreiben. Du musst das mit deinen Sinnen erfassen. Ganz instinktiv«
Sie nimmt den Deckel von einem Topf, der leise auf dem Herd vor sich hin köchelt und taucht einen Löffel hinein. »Hier. Probier das mal.«
Linkisch nehme ich den Löffel in den Mund.
»Bratensoße«, sage ich sofort. »Lecker!«, füge ich höflich hinzu.
Iris schüttelt den Kopf. »Du sollst mir nicht sagen, was es ist. Sag mir, was du schmeckst.«
Verwirrt starre ich sie an. Das muss eine Trickfrage sein.
»Ich schmecke ... Bratensoße.«
Sie verzieht keine Miene. Sie wartet.
»Ah ... Fleisch?«, sage ich versuchsweise.
»Was noch?«
Mein Hirn ist wie leer gefegt. Mir fällt nichts weiter ein. Ich meine, das ist Bratensoße. Was kann man schon über Bratensoße sagen?
»Probier‘s noch mal.« Iris ist unnachgiebig. »Streng dich an.«
Ich ringe nach Worten. Meine Birne muss inzwischen wie eine rote Ampel leuchten. Ich fühle mich wie der Trottel von der letzten Bank, der nicht mal das Zweier- Einmaleins zustande bringt.
»Fleisch ... Wasser ...« Ich überlege fieberhaft, was sonst noch in Bratensoße drin sein könnte. »Mehl!«, stoße ich in plötzlicher Eingebung hervor.
»Samantha, du sollst nicht versuchen, die Zutaten zu erraten. Sag mir einfach, wonach es schmeckt.« Iris hält mir den Löffel ein drittes Mal hin. »Probier noch mal - und mach diesmal die Augen zu.«
Die Augen zumachen?
»Okay.« Ich nehme einen Mund voll und schließe gehorsam die Augen.
»Also. Was schmeckst du?«, dringt Iris‘ Stimme an mein Ohr. »Konzentriere dich ganz auf den Geschmack. Auf nichts sonst.« Ich habe die Augen fest zusammengekniffen und versuche, alles andere um mich herum zu vergessen, mich nur auf meinen Mund zu konzentrieren. Da ist etwas Warmes, Salziges auf meiner Zunge. Salz. Das ist schon mal was. Und etwas Süßes ... und ... da ist noch was, ich merke es beim Runterschlucken.
Fast kommt es mir vor, als würde ich plötzlich Farben sehen. Zuerst die grellen, offensichtlichen, dann die sanfteren, die, die man leicht übersieht ...
»Es schmeckt salzig und fleischig ...«, sage ich langsam, ohne die Augen aufzumachen. »Und süß ... und — beinahe fruchtig? Irgendwie kirschig?«
Leicht desorientiert schlage ich die Augen wieder auf. Iris mustert mich aufmerksam. Plötzlich sehe ich, dass Nathaniel auch noch in der Küche steht. Verlegenheit überkommt mich. Bratensoße mit geschlossenen Augen zu probieren, ist etwas ganz schön Intimes, wie ich merke. Ich bin nicht sicher, ob ich dabei beobachtet werden möchte.
Iris scheint zu verstehen.
»Nathaniel«, sagt sie forsch, »wir brauchen alles Mögliche für diese Gerichte.« Sie schreibt eine lange Einkaufsliste und reicht sie ihm. »Bitte sei so gut und
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