Gohar der Bettler
Gohar ihm sein Verbrechen gestand. Aber nichts dergleichen war geschehen. Warum? Betrachtete er ihn nicht als jemanden, dem man alles sagen konnte? Dieses Mißtrauen Gohars ihm gegenüber blieb ihm unverständlich. Plötzlich überkamen ihn Zweifel. Und wenn er sich geirrt hätte? Wenn Gohar nicht der Mörder wäre? Der Verdacht war ihm erst heute nachmittag während des Spaziergangs durch die bevölkerten Straßen in Begleitung des Polizeioffiziers gekommen. Er hörte die Drohungen des Offiziers nur mit halbem Ohr, ganz damit beschäftigt, sich umzuschauen und Bekannte zu grüßen, als ihm plötzlich ein Vorkommnis von entscheidender Bedeutung einfiel: Gohar hatte ihm sein Beileid zum Tod seiner Mutter ausgesprochen. Nun aber erinnerte sich Yeghen, nur gegenüber Arnaba, der jungen Prostituierten, den angeblichen Tod seiner Mutter erwähnt zu haben. Und kurze Zeit darauf war sie ermordet worden. Folglich hatte Gohar sie als letzter lebend gesehen.
Dennoch war der Gedanke, daß Gohar ein Mörder sein könnte, gewagt. Noch zögerte Yeghen. Und trotzdem, er durfte nicht viel Zeit verlieren. Mit den Methoden der Polizei war er schon seit langem vertraut. Gohar würde sich niemals verteidigen können, wenn sie ihm in einem Verhör etwas härter zusetzten. Und dann stellte sich auch die Frage, ob er sich überhaupt verteidigen wollte.
»Meister, in Wahrheit bin ich gekommen, um dir zu sagen, daß du dich in acht nehmen sollst.«
»Wovor in acht nehmen, mein Sohn?«
»Wenn du hierbleibst, gehst du ein großes Risiko ein«, sagte Yeghen.
»Es nützt nichts, den Kopf zu verlieren«, sagte Gohar. »Die Gefahr ist vielleicht gar nicht so groß, wie du denkst.«
Es kam ihm nicht eine Sekunde in den Sinn zu leugnen. Er stellte sich noch nicht einmal die Frage, wie Yeghen herausgefunden hatte, daß er der Mörder war.
»Du weißt also Bescheid«, sagte er nach einem kurzen Augenblick.
»Meister, ich verstehe das nicht. Wie konnte das passieren?«
»Ich weiß es selbst nicht«, sagte Gohar. »Ich könnte es dir nicht erklären. Ich habe immer noch den Eindruck, als hätte jemand anderes an meiner Stelle gehandelt. Glaub aber ja nicht, daß ich mich reinwaschen möchte. Gewalt ist durch nichts zu entschuldigen. Alles, woran ich mich erinnere, ist, daß ich auf Entzug war und dort hinging, um dich zu suchen. Arnaba war allein. Sie bat mich, einen Brief für sie zu schreiben, und lud mich in ihr Zimmer ein. Für einige Zeit dachte ich nur an die Droge und daran, wie ich an sie herankommen könnte. Dann bemerkte ich plötzlich die Armreifen des Mädchens, und da kam mir der Gedanke, sie umzubringen. Ich mußte die Armreifen in meinen Besitz bringen.«
»Aber diese Armreifen waren doch nichts wert«, sagte Yeghen.
»Das wußte ich, mein Sohn. Aber in diesem Moment besaßen sie in meinen Augen einen großen Wert. Und dieser Moment war es, der zählen sollte.«
»Ich bin der wahre Schuldige«, sagte Yeghen. »Vergib mir, Meister. Ich hätte zur Stelle sein müssen, als du mich brauchtest. Jetzt geht es jedenfalls nicht mehr um die Erklärung für eine Tat. Es geht um deine Flucht. Du mußt so schnell wie möglich fliehen.«
»Warum sollte ich fliehen?«
»Sie dürfen dich nicht fassen. Dieser Offizier, der bei mir war, ist ein Teufel. Ich kenne ihn, er wird so lange keine Ruhe geben, bis er deiner habhaft geworden ist. Ich möchte dir helfen, Meister! Ich beschwöre dich, folge meinem Rat. Noch ist es nicht zu spät.«
»Mein lieber Yeghen, ich weiß deine Besorgnis zu schätzen, aber ich möchte auf gar keinen Fall, daß du in diese Geschichte verwickelt wirst. Ich werde schon allein zurechtkommen.«
»Gegen diese Leute wirst du nicht ankommen. Geh nach Syrien! Nutz die sich bietende Gelegenheit.«
»Wie soll ich fortgehen?«
»Ich werde das notwendige Geld für die Reise auftreiben. Verlaß dich auf mich.«
»Am Ende wirst du noch jemanden umbringen. Dann wird die ganze Sache nie ein Ende Finden.«
Yeghen stand auf, blieb einen Augenblick lang stehen, während er Gohar anschaute, trat dann auf ihn zu, verbeugte sich, ergriff seine Hand und führte sie an die Lippen.
»Du bist der einzige Mensch auf der Welt, den ich liebe und respektiere«, sagte er. »Ich lege mein Leben in deine Hände.«
Gohar war gerührt; er lächelte traurig.
»Wir wollen nicht ernsthaft werden, mein Sohn. Das wäre der Gipfel des Unglücks. Im übrigen gibt es ja, wie du selbst gesagt hast, die Bombe. Sie wird alles in Ordnung
Weitere Kostenlose Bücher