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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cossery
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verfolgt wurde und über den man sich an höchster Stelle den Kopf zerbrach. Gohar würde sich nicht mehr - wie gewöhnlich - über ihn lustig machen, sobald er von der furchterregenden Überwachung erführe, deren Opfer er war.
    Mehrfach blickte er hinter sich, um zu sehen, ob man ihn nicht verfolgte. Aber er sah weit und breit keine Spur von dem Einäugigen.
    Die Avenue Fouad durchzog das Zentrum des Europäischen Viertels wie ein Lichterstrom. El Kordi flanierte die Avenue hinauf wobei er das beunruhigende Gefühl nicht loswurde, in einer fremden Stadt zu sein. Er konnte sich solange er wollte einreden, daß er sich immer noch in seinem Heimatland befand, es gelang ihm einfach nicht, wirklich daran zu glauben. All diese geschäftigen Menschen, die aussahen, als wären sie gerade einer Katastrophe entgangen und von deren mürrischen Gesichtern durchschnittliche Sorgen abzulesen waren, kamen ihm ausgesprochen feindselig vor. Das Verhalten dieser Menschenmenge, deren beklagenswerte Einförmigkeit durch nichts unterbrochen wurde, fand er übertrieben und krankhaft. Dieser lärmenden Masse fehlte etwas, und zwar die Prise Humor, durch den die menschliche Natur ihre Bestätigung erfahrt. Diese Menge war unmenschlich. Die Angst, die sie verbreitete, übertrug sich unmerklich auf El Kordi und weckte die Sehnsucht nach den armen Vierteln in ihm. Schon vermißte er die schmutzigen Gassen und die armseligen Behausungen, in denen sich ein ganzes Volk von Verbannten über seine Unterdrücker lustig machte. In den auf Ödland errichteten Blechhütten gab es mehr Hoffnung als in diesem reichen Viertel. In diesem großartigen Stadtteil also lebten, zurückgezogen in ihre sicheren Schlupfwinkel, die fanatischen Feinde des Volkes? Sie wirkte nicht gerade freundlich, diese Zitadelle der Unterdrückung. Die in den Schaufenstern der Geschäfte ausgebreiteten Reichtümer, die düstere Erhabenheit der Gebäude, die geradlinige Strenge der Gehwege, alles schien das Aufkeimen auch nur des kleinsten frivolen Gedankens zu verhindern. El Kordi verstand, warum Gohar dieses Viertel und seinen traurigen Wohlstand verlassen hatte.
    Der Anblick eines kleinen Zeitungsverkäufers riß ihn aus seiner Melancholie; er fand sich wieder in seiner Welt.
    »He, Kleiner! Hast du die griechische Zeitung?«
    »Du kannst Griechisch, mein Bey?«
    »Ja. Warum sollte ich kein Griechisch können?«
    »Bei Allah, in diesem Land gibt es nichts, was es nicht gibt!«
    El Kordi kaufte ein Exemplar der einzigen griechischen Zeitung, die in der Stadt erhältlich war, faltete sie zusammen und steckte sie in seine Jackentasche. Er hatte ein lebhaftes Bedürfnis verspürt, sich diesen kindischen Spaß zu erlauben. Die ganze ernsthafte Betriebsamkeit um ihn her verdroß ihn so wie eine Beleidigung ein Volk, das einen natürlichen Hang zur Jovialität besitzt. Auch hatte er dieser beinahe greifbaren Angst entkommen wollen, die mit jedem Schritt spürbarer wurde, mit dem er sich weiter auf dieser wie für einen grandiosen Trauerzug beleuchteten Verkehrsader bewegte. Die Freude darüber, einen kleinen Zeitungsverkäufer verblüfft zu haben, ließ ihn jedoch sein Vorhaben nicht aus den Augen verlieren. »Schluß mit den Scherzen! Jetzt ist der Augenblick des Handelns gekommen.« Er war am Ende der Avenue angelangt; nur noch wenige Meter trennten ihn von dem Juweliergeschäft.
    Wie lautete doch gleich das Wort, das er irgendwo gelesen hatte und das ihm eine so verführerische Macht zu besitzen schien? Enteignung. Das vom Nimbus wunderbarer Gewißheiten umgebene Wort kam ihm wieder ins Gedächtnis. Es war kein Diebstahl, den er im Sinne hatte, sondern eine Enteignung. Dieser Gedanke dämpfte seine Furcht, die er als blutiger Anfänger in diesem Geschäft hatte, obwohl er an den Schwierigkeiten seines Unterfangens nichts änderte. Gewiß, die Schwierigkeiten waren dieselben geblieben, aber dieser neue Gesichtspunkt seiner Tat schuf einen grundlegenden Unterschied. Er war kein einfacher Gauner mehr, der seinen ersten kleinen Diebstahl beging. Vielmehr blieb er seinem revolutionären Ideal treu. Sein Unternehmen erschien ihm jetzt wie der Beginn einer Ara der Umwälzungen, langer und blutiger Kämpfe; wie das schwache Schimmern eines Lichts, das erst mit der Befreiung des Volkes voll erstrahlen würde.
    Die Größe seiner Aufgabe trieb ihm vor Rührung die Tränen in die Augen. Er näherte sich so entschlossen dem Schaufenster des Juweliergeschäfts, als würde ihn das Geschrei

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