Gohar der Bettler
einer Menge ausgehungerter Unterdrückter antreiben. Er war nur noch das Werkzeug eines zur Rache entschlossenen Volkes. Er blieb wie versteinert stehen. Wie im Wasser eines Aquariums funkelten die wertvollen Schmuckstücke im grellen Licht, und ihr merkwürdiger Glanz hypnotisierte das Auge. El Kordi fühlte sich ins Zentrum eines unvergleichlichen märchenhaften Schauspiels versetzt. Das wilde Geschrei der entfesselten Massen verstummte; er war allein, überwältigt von all der unerschwinglichen Pracht. Mit einem Mal schmetterte ihn die Mutlosigkeit nieder wie ein schwerer Stein. Stehlen, das war leicht gesagt! Aber wie? Mittels welches Zaubertricks würde er eines dieser Schmuckstücke, die genauso unerreichbar waren wie die entlegensten Gestirne des Himmels, an sich bringen? Die Verbitterung, die er ob seiner eigenen Naivität empfand, trieb ihm einmal mehr die Tränen in die Augen. Er erinnerte sich an seine kranke Geliebte, die eine entwürdigende Existenz in einem schäbigen Bordell fristete und auf ihn als ihren Retter wartete. Mit feuchten Augen betrachtete er die funkelnden Schätze im Schaufenster, während er daran dachte, daß er mit dem Geld, das ein einziges dieser Schmuckstücke kostete, Naila ihrem unwürdigen Schicksal entreißen könnte. Seine Entschlossenheit, die junge Frau aus der Prostitution herauszuholen und ihr ein anständiges Leben zu ermöglichen, war im Augenblick so stark und real, daß er verzweifelt nach einem Weg suchte, diesen Diebstahl in die Tat umzusetzen. Diese Schmuckstücke jedoch blieben ganz und gar unerreichbar, schienen einem anderen Universum anzugehören. Schmerzlich empfand er seine ganze Ohnmacht, er ballte die Faust und hob langsam den Arm, um wie in einem Anflug von Wahnsinn die Scheibe zu zertrümmern.
Der Duft eines Veilchenparfums drang in seine Nase und verriet ihm die Anwesenheit einer Frau unmittelbar neben ihm; er ließ den Arm wieder sinken, war mit einem Mal vollkommen entspannt, erfüllt von einer wunderbaren Freude. Allein der Duft des Parfüms ließ seine Wut sich verflüchtigen. Ohne sich umzudrehen, warf er aus den Augenwinkeln heraus einen Blick auf die Frau, die regungslos und würdevoll dicht neben ihm stand und fasziniert schien vom Ausmaß der in dem Schaufenster ausgebreiteten Reichtümer. Sie war eine junge Einheimische, gekleidet mit einer selten anzutreffenden Sorgfalt und Eleganz. Die Falten ihrer tadellos geschnittenen Melaya brachten ihren schlanken Körper zur Geltung, indem sie die festen Rundungen ihrer Hüften hervorhoben. Obwohl der untere Teil ihres Gesichts unter einem Schleier aus schwarzer Seide verborgen blieb, verriet der Glanz ihrer mandelförmigen und mit Kajal nachgezogenen Augen eine rassige Schönheit. Ihr ganzes Wesen strahlte einen Hauch geheimnisvoller Sinnlichkeit aus, der El Kordi bis tief ins Mark erzittern ließ. Sie schien sich insbesondere für ein Diamantenkollier zu interessieren, das fast die gesamte Vitrine ausfüllte.
Diese wunderbare Kreatur entzückte El Kordi so sehr, daß er einen Augenblick lang regungslos verharrte. Angetrieben von der Angst, daß sie fortgehen könnte, sprach er sie schließlich mit flüsternder Stimme an:
»Ich bin sicher, du wunderbare Schönheit, daß dir diese Halskette ganz ausgezeichnet stehen würde.«
Die junge Frau musterte ihn, als wäre er eine eklige Schlange.
»Ja, ich weiß«, sagte sie. »Aber wo ist der Mann, der genug Geld hat, um sie mir zu schenken?«
El Kordi wußte auf diese boshafte Aufforderung nichts zu entgegnen. Die Frau war eine Hure, allerdings eine Edelhure. Er würde ihr ganz bestimmt kein Diamantenkollier schenken, nicht einmal einen gegrillten Maiskolben. Wofür hielt sie sich eigentlich? Die übertriebenen Vorstellungen, die sie sich von ihrem Marktwert machte, amüsierten El Kordi eher, als daß sie ihn ängstigten. Was ihn betraf, so brauchte er nichts zu befürchten: er hatte nichts zu verlieren bei diesem Abenteuer. Dieses dumme Weibsstück ahnte nicht, mit wem sie es zu tun hatte. Er würde sie umsonst bekommen. Huren waren die Art Frau, die El Kordi am allerleichtesten um den Finger wickelte; er kannte ihre Mentalität und wußte, was er ihnen erzählen mußte.
In diesem Augenblick war er davon überzeugt, daß das Schicksal ihn nur deshalb hierhergeführt hatte, um dieser Nutte mit ihren aristokratischen Allüren zu begegnen. Er suchte fieberhaft nach einer lustigen Bemerkung, um das Gespräch wiederaufzunehmen und sie vor allem zum Lachen zu
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