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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cossery
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Zeit muß man sich ja schließlich auch entspannen, nicht wahr? Hier sind wir unter Freunden; seien wir vergnügt. Die ernsten Dinge kommen später.«
    »Paß gut auf, Herr Offizier!« sagte El Kordi, der sein Schweigen schließlich brach. »Du hast doch gesagt, daß wir unter Freunden sind? Können wir also offen zueinander sein?«
    »Selbstverständlich«, sagte Nour El Dine. »Allerdings frage ich mich, was du noch zu sagen hast. Hast du nicht bereits alles gesagt? Mir ist eine verwirrende Geschichte zu Ohren gekommen: es scheint, als hättest du in Anwesenheit von Zeugen damit geprahlt, der Mörder der jungen Arnaba zu sein. Ist das wahr?«
    »Das ist wahr, du bist nicht falsch informiert worden«, sagte El Kordi. »Ich leugne nichts. Warum zögerst du noch mit meiner Festnahme?«
    »Von dieser Geschichte wußte ich nichts«, sagte Yeghen. »Meinen herzlichen Glückwunsch, mein lieber El Kordi.«
    »Ich verhafte dich nicht«, fuhr Nour El Dine fort, »weil ich weiß, daß du nicht der Mörder bist. Du wolltest einfach angeben. Warum, weiß ich nicht. Es wundert mich nur, daß ein Bursche wie du, der eine gute Ausbildung genossen hat und mehrere Sprachen spricht, sich mit solchen Absonderlichkeiten abgibt. Ich begreife deine Einstellung einfach nicht. Kannst du mir sein Verhalten erklären, Gohar Effendi? Ich glaube, du hast dieser lächerlichen Szene beigewohnt.«
    Für einen Augenblick herrschte Schweigen. Alle Blicke richteten sich auf Gohar. Sogar Samir starrte ihn mit angespanntem Gesicht und einem Ausdruck fiebriger Erwartung aufmerksam an.
    Gohar schwieg. Bereits seit geraumer Zeit spürte er das Haschischkügelchen in seinem Mund nicht mehr; es mußte sich vollkommen aufgelöst haben. Zwei-oder dreimal schluckte er seinen Speichel hinunter und genoß so ein letztes Mal den bitteren Geschmack der Droge. Die Menschen und die Dinge, die ihn umgaben, nahmen kräftigere, schillerndere Farben an, wurden in ihren kleinsten Einzelheiten erkennbar. Das Gelächter und das Stimmengewirr verwandelten sich in ein einheitliches, heimtückisches und geheimnisvolles Gemurmel, das dem Stöhnen einer sinnlichen Frau im Augenblick der Ekstase ähnelte. Sein Blick verharrte auf Nour El Dine, und er war erstaunt, daß er gegenüber seinem Henker ein eigenartiges Wohlwollen empfand. Dank seiner geschärften Wahrnehmung erkannte er in diesem so aggressiv auftretenden Henker eine gequälte und beunruhigte Kreatur, die eher schwach denn gefährlich war. Was für ein schmerzerfüllter Blick! Welche seelische Qual sich hinter dieser Fassade der Autorität verbarg! Sein Instinkt verriet Gohar, daß er von diesem Mann nichts zu befürchten hatte. Und, was noch seltsamer war, daß dieser Mann seiner Hilfe und seines Mitleids bedurfte.
    »Der Herr Offizier wartet«, sagte Yeghen. »Mach schon, Meister, sag uns, was du denkst!«
    »Nun«, begann Gohar, »ich glaube das Verhalten meines jungen Freundes erklären zu können. El Kordi ist ein Mann mit einer großen und edlen Seele. Er verabscheut die Ungerechtigkeit und würde alles tun, um sie zu bekämpfen. Er würde gern die Welt verändern, weiß aber nicht, wie er es anstellen soll. Ich glaube, daß dieses Verbrechen ihn sehr empört hat. Er wollte die Verantwortung dafür übernehmen und zum Märtyrer der Sache werden, der er dient. Ich bin glücklich, Herr Offizier, daß du sein Geständnis nicht ernst genommen hast. Man muß ihm diese Torheit nachsehen. Er hat unter dem Einfluß eines sehr ehrenwerten Beweggrundes gehandelt.«
    »Meister! Das ist unerträglich!« rief El Kordi aus. »Laß es mich erklären. Ich gebe zu, daß ich nicht der Mörder bin.
    Aber was spielt es für eine Rolle, ob ich es war oder ein anderer? Für dich, Herr Offizier, ist es doch nur wichtig, daß irgend jemand festgenommen wird, nicht wahr? Nun, und ich habe mich angeboten. Du müßtest mir dankbar sein.«
    »Absurd!« sagte Nour El Dine. »Vollkommen absurd. Darum geht es überhaupt nicht. Ich will den Schuldigen festnehmen, und sonst niemanden.«
    »Wieso?« fragte Yeghen. »Wieso nur den Schuldigen festnehmen? Exzellenz, du enttäuschst mich. Du läßt dich von müßigen Erwägungen leiten.«
    »Wieso?« wiederholte Nour El Dine. »Aber das versteht sich doch von selbst, oder? Warum sollte ich einen Unschuldigen verhaften?«
    »Es muß schwer sein, sich zwischen dem Unschuldigen und dem Schuldigen zu entscheiden«, sagte Gohar.
    »Ich entscheide mich nicht«, sagte Nour El Dine. »Aufgrund

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