Goldaktien
offenen Tür eines Zimmers ganz am Ende des Korridors. Es war eine Frau von fünfundfünfzig bis sechzig fahren, die, das Haar in Lockenwicklern, ihren roten Bademantel ängstlich fest um sich zog.
»Haben Sie Schüsse gehört?« rief ich ihr zu.
»Ja«, antwortete sie.
Ich wies mit dem Daumen nach Zimmer 421 und sagte: »Ich glaube, es kam von dort, von 421. Werde mal nachsehen.«
Sie blieb wie angenagelt stehen. Ich ging zum Fahrstuhl und rief ihr zu: »Er hat ein Schild >Nicht stören< an seiner Tür. Werde lieber unten im Büro Bescheid sagen.« Ich öffnete die Lifttür, fuhr bis zur ersten Etage hinab, stieg aus und wartete.
Es schien eine ganze Minute zu dauern, bis ich hörte, daß der Lift ins Parterre geholt wurde, und dann sah ich ihn wieder aufwärts steigen. Die Lichtskala zeigte an, daß er in der vierten Etage hielt. Der Portier war nicht am Empfangstisch, die Blondine im Zigarettenstand las in einer Filmzeitschrift, ihre Kinnbacken bewegten sich rhythmisch beim langsamen Bearbeiten ihres Kaugummis. Nach kurzem Aufblicken vertiefte sie sich wieder in die Zeitschrift.
Auf der Straße angekommen, zog ich das Ringold abgenommene Papier aus der Tasche und sah es mir genau an. Es war ein Scheck über zehntausend Dollar, auszuzahlen an Überbringer, Unterschrift: Alta Ashbury.
Ich steckte ihn wieder ein und ging zu der Stelle, wo Bertha unseren Wagen geparkt hatte. Aber der war fort. Ich blieb stehen und hielt eine Minute Umschau. Von Bertha keine Spur. Ich ging drei Querstraßen weiter, bestieg ein Taxi und ließ mich zum Union-Bahnhof fahren. Dort tat ich den Zimmerschlüssel vom Hotel in einen Umschlag und steckte ihn in 28
den Briefkasten, nahm ein anderes Taxi und gab als Ziel ein erstklassiges Apartmenthotel in der Nähe von Ashburys Villa an. Dort angekommen, bezahlte ich, und nachdem sich das Taxi entfernt hatte, ging ich zu Fuß zu den Ashburys.
Der Butler war noch auf. Er öffnete mir, obwohl ich von Ashbury einen Schlüssel bekommen hatte.
»Miss Ashbury schon zurück?« fragte ich.
»Jawohl, Sir, kam vor ungefähr zehn Minuten.«
»Melden Sie ihr bitte, daß ich in der Glasveranda auf sie warte«, sagte ich, »und daß es wichtig ist.«
Einen Moment sah er mich blinzelnd an, dann sagte er: »Sehr wohl, Sir.«
Ich ging in die Sommerveranda und nahm in einem Sessel Platz. Nach etwa fünf Minuten kam Alta herunter und empfing mich mit den Worten: »Was Sie mir auch erzählen mögen, alles ist zwecklos«, sagte sie. »Ich erkenne keinerlei Erklärung an.«
»Setzen Sie sich doch«, forderte ich sie auf.
Einen Augenblick zögerte sie, dann tat sie es.
»Jetzt werde ich Ihnen etwas erzählen«, begann ich, »und ich wünsche, daß Sie's im Gedächtnis behalten, daß Sie heute nacht darüber nachdenken und es morgen noch wissen. Sie waren übermüdet und nervös. Haben eine Verabredung rückgängig gemacht. Sie gingen in ein Kino, hielten es aber nicht aus. Sie fuhren wieder nach Hause. Sonst sind Sie nirgends gewesen, verstehen Sie?«
Alta Ashbury erwiderte: »Ich bin jetzt zu Ihnen hierhergekommen, weil ich diese Geschichte endgültig abschließen wollte. Ich hasse Spitzel und Spione. Vermutlich hat meine Stiefmutter Sie engagiert, um auszuhorchen, wie ich über sie denke. Na, das weiß sie ja nun. Ich könnte es ihr ebensogut selbst ins Gesicht gesagt haben. Jedenfalls — schätze ich Sie so niedrig ein, daß Sie nicht einmal der Verachtung wert sind. Ich...«
»Kehren Sie in die Wirklichkeit zurück«, sagte ich. »Detektiv bin ich, jawohl, aber engagiert, um Sie zu schützen.«
»Mich zu schützen?«
»Ja.«
»Ich brauche keinen Schutz.«
»Das ist Ihre Ansicht. Halten Sie fest, was ich Ihnen soeben erklärte: Sie waren müde und nervös, sagten eine Verabredung ab, gingen ins Kino und vermochten nicht, dort ruhig sitzen zu bleiben. Sie kamen dann wieder nach Hause und sind sonst nirgendwo gewesen.«
Sie starrte mich an.
Ich zog den Scheck aus der Tasche und zeigte ihn ihr. »Vielleicht habe ich recht, daß Sie sich nicht die Mühe machen, die Kontrollabschnitte von Schecks über so geringe Beträge wie zehntausend Dollar aufzubewahren. Oder?«
Ihr Gesicht wurde weiß, als sie dasaß und wie gebannt den Scheck betrachtete.
Ich entzündete ein Streichholz, hielt die Flamme an eine Ecke des Schecks und ließ das verkohlte Papier erst los, als die Flamme meine Fingerspitzen ansengte. Dann legte ich, was übriggeblieben war, in einen Aschenbecher und zerdrückte es mit den
Weitere Kostenlose Bücher