Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
wurde der Blutdurst unserer Götter erst«, fuhr er beinahe flüsternd fort, »nachdem die Azteken reich und mächtig geworden waren. Das sagen jedenfalls unsere Geschichtserinnerer – bei uns in Zautla, müsst Ihr nämlich wissen, kann niemand lesen und schreiben.«
    Es war einer der wenigen Momente, in denen mir unser Herr aufrichtig verblüfft vorkam. Er wechselte einen Blick mit Alvarado und fragte dann Olintecle: »Du meinst, sie haben die Riten geändert ?« Er packte den Herrscher von Zautla bei seinem reich verzierten Umhang und schüttelte ihn hin und her. »Sie haben irgendwann angefangen«, rief Cortés aus, »ihren Teufelsgötzen sehr viel mehr Menschenblut und Menschenherzen zu opfern, als es bis dahin üblich war? Ist es das, was du uns sagen willst?«
    Marina übersetzte und der Herrscher nickte zaghaft. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er seine Redseligkeit längst bereute. Doch bevor Cortés oder irgendwer sonst dazu kam, ihm mit einer weiteren Frage zuzusetzen, geschah etwas ganz und gar Unerwartetes. Genauer gesagt: etwas, womit ich nicht im Mindesten gerechnet hatte. Auch Alvarado, Portocarrero und Sandoval wirkten ehrlich überrascht. Nur Cortés und Marina schauten die Ursache der allgemeinen Verblüffung auf eine Weise an, als ob sie längst mit einem solchen Ausbruch gerechnet hätten.
    Carlita! Sie hatte urplötzlich zu schluchzen begonnen. »Alles vernichtet … neu geschrieben!«, brachte sie hervor. Ihr ganzer Körper wurde von Schluchzern geschüttelt. Sie krümmte sichzusammen, vergrub ihr Gesicht in den Händen und weinte hemmungslos.
    »Na, na, meine Kleine«, raunte Marina und nahm sie in den Arm. »Sei ganz ruhig, das wird schon wieder!«
    Doch Carlita schien vollkommen außer sich. »Auch Xochiquetal … die gütige Göttin …« Mehr war nicht zu verstehen. Carlita weinte und weinte.
    Cortés machte Marina ein Zeichen und warf mir zugleich einen auffordernden Blick zu. Sie packte Carlita bei den Handgelenken und schubste sie unsanft in meine Richtung. Carlita taumelte und wäre wohl hingefallen, wenn ich sie nicht aufgefangen hätte. Sie klammerte sich an mich, wie sie sich eben an Marina geklammert hatte, und drückte ihr heißes, tränennasses Gesicht in meine Schulterbeuge.
    »Jetzt ist sie so weit, Junge«, sagte Marina zu mir. »Frag sie nach dem Geheimnis! Lass nicht locker, bis du alles weißt!«
    Da hatte sich Cortés nach seiner üblichen Art bereits wieder abgewandt und winkte Marina zu sich. »Sag dem Herrscher«, befahl er, »dass wir gekommen sind, um ihm und seinem Volk den wahren Glauben zu bringen. Er soll dem Teufelsglauben abschwören, alle Tempel von Blut und Götzenbildern säubern und nie wieder Menschenopfer in seiner Stadt dulden. Zum Lohn wird er in den Himmel kommen. Wenn er sich weigert, schmachtet er für alle Ewigkeit in der Hölle!«
    Marina übersetzte, und Olintecle riss die Augen auf und schüttelte den Kopf, dass sein Federschmuck wogte. Die immer noch schluchzende Carlita in meinem Arm, lief ich hinter ihnen her, auf eine Pyramide zu, auf deren First ein würfelförmiger Tempel stand. »Bitte beruhige dich, Carlita!«, flüsterte ich ihr ein ums andere Mal zu. Mein Herz klopfte zum Zerspringen, ich schwitzte und klapperte gleichzeitig mit den Zähnen, so aufgewühlt war ich.
    Vor der Pyramide blieb Olintecle stehen und die anderen folgtenseinem Beispiel. Das Bauwerk steht am Kopfende eines großen Platzes, der von Palästen und weiteren Tempelbauten gesäumt ist, wie wir es auch in Potonchan und Cempoallan gesehen hatten. Doch das Schädelgerüst vor der Pyramide war noch weitaus größer als sein Gegenstück in der Hauptstadt von König Pazinque. Neben Hunderten sonnengebleichter Totenschädel prangten auch einige Dutzend Knochen, die so lang und dick wie ein gut in der Hand liegender Holzprügel waren.
    »Oberschenkelknochen!«, klärte uns der Herrscher von Zautla auf. Seine Laune besserte sich zusehends, während er uns seine schaurige Sammlung zeigte. »Natürlich heben wir nicht alle Totenköpfe und schon gar nicht jeden Beinknochen auf«, verkündete er. »Alles, was Ihr hier seht, Ihr knochenbleichen Herren, sind die Überreste von besonders tapferen Kriegern und hochrangigen Edelleuten.«
    Portocarreros Gesicht wurde blauviolett. »Du hast doch gerade selbst gesagt, du stinkender Wilder«, polterte er los, »dass die anderen Teufelsjünger sich das alles hier nur ausgedacht haben, um euch in Angst und Schrecken zu versetzen! Nicht mal

Weitere Kostenlose Bücher