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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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unserem Herrn die goldene Statuette zurück. »Und auch wenn diese Göttin hier folglich nicht Eure Schwester ist!«, fügt er hinzu und schaut seinen Bruder halb ängstlich, halb erwartungsvoll an.
    Cuitláhuac zieht seinen Arm, den er die ganze Zeit über verborgen hatte, blitzschnell hinter seinem Rücken hervor. Da stöhnen Portocarrero und Alvarado, Sandoval und selbst Marina wie aus einem Mund auf! Auch ich kann mein Entsetzen nicht verbergen und sogar Cortés gibt einen schmerzerfüllten Seufzer von sich.
    Was da an blutverkrusteten Strähnen von Cuitláhuacs Hand herunterhängt, das ist ein abgehackter Menschenkopf! Das Gesicht ist in tödlichem Schrecken verzerrt, die Augen sind weit aufgerissen. Und wir alle kennen dieses gutmütig runde Gesicht nur zu genau! Es gehört einem unserer Fußsoldaten, die wir bei Juan de Escalante in Vera Cruz zurückgelassen haben – einem noch jungen Mann namens Juan de Argüello.
    Cortés starrt ihn an, und ein Zucken überläuft ihn, als erwache er aus einem süßen, trügerischen Traum. Er steckt das goldene Bildnis in sein Gewand zurück und steht auf. Sein Gesicht ist aschgrau, er bewegt sich ruckartig und ungelenk. »Ihr habt unsere Stadt Vera Cruz angegriffen, Montezuma«, sagt er in jenem kalten Tonfall, als ob nichts auf der Welt ihm gleichgültiger wäre, »aus welchem Grund?«
    Montezuma sieht ihn nur mit bebenden Lippen und weit aufgerissenen Augen an und bringt kein Wort hervor.
    »Eure Männer haben uns angegriffen!«, antwortet stattdessen Cuitláhuac. »Unsere Gesandten suchten wie üblich die Totonaken in Cempoallan auf, um den Tribut einzutreiben. Doch ihr König Pazinque behauptete, er sei uns keinen Tribut mehr schuldig, und rief Eure Männer zu Hilfe. Der Hauptmann Eurer Siedlung griff unsere Soldaten an, aber seine Bataillone wurden von unserer Streitmacht aufgerieben. Er musste überstürzt den Rückzug befehlen und dabei wurde dieser hier von einem unserer Krieger gefangen genommen.«
    Als Cuitláhuac »dieser hier« sagt, schwenkt er den Kopf des armen Argüello an seinen blutverschmierten Haaren hin und her. »Er wurde noch am selben Tag geopfert«, fährt er fort. »Ich habe eine genaue Untersuchung angeordnet, und falls einer unserer Männer einen Fehler gemacht hat, wird er dafür büßen müssen. Aber was auch immer diese Untersuchung ergeben wird – eines wissen wir jetzt schon: Ihr seid keine Götter, keine Geister oder irgendeine andere Art von übernatürlichen Wesen. Ihr seid sterbliche Menschen wie wir!«
    Er wirft Cortés die makabre Trophäe zu – und diesmal bin ich es, der sie mit einem tollkühnen Sprung auffängt. Dann allerdings stehe ich wie erstarrt vor Ekel und Grauen da. Ich habe den Kopf mit einer Hand im schmierigen Haar, mit der anderen an der Unterseite zu fassen bekommen, wo vom Hals des unglücklichen Argüello nur ein paar verkrustete Knorpelstückeübrig geblieben sind. Besonders diese Seite fühlt sich unglaublich ekelhaft an, aber aus Respekt vor dem Toten und mehr noch vor Grauen schaffe ich es einfach nicht, meine Hand von ihm wegzuziehen und ihn einfach an seinen Haaren festzuhalten, wie es Cuitláhuac gemacht hat.
    »Montezuma hat Euch erlaubt, den Schatz zu behalten, den Ihr im Palast unseres Vaters gefunden habt«, sagt Cuitláhuac und verzieht sein Gesicht zu einer verachtungsvollen Grimasse. »Also sputet Euch, Eure Beute zusammenzuraffen, bärtige Fremde! Die Gastfreundschaft ist uns heilig, und so dürft Ihr Euch noch eine letzte Nacht in unseren Mauern sicher fühlen. Aber morgen müsst Ihr unsere Stadt wieder verlassen – oder Ihr alle werdet enden wie er!«
    Cuitláhuac deutet auf den Kopf, der zwischen meinen Händen erbebt, als ob doch noch ein wenig Leben in ihm wäre – genug jedenfalls, um zu zittern vor Todesangst.

NEUNTES KAPITEL
Seid mein Gast in eurem Reich
- 1 -
    Mitternacht ist vorbei, doch in dieser Nacht wird niemand von uns ein Auge zutun. Cortés hat angeordnet, die Wachen zu verdoppeln, die Kanonen zu laden und die Zünder zu überprüfen. Auch unsere Armbrustschützen sind in Alarmbereitschaft versetzt. Sie liegen oben auf dem Palastdach auf der Lauer und beobachten unaufhörlich das Herz Unserer Welt.
    Doch auf dem Platz scheint alles ruhig zu sein. Nur die Götzenpriester drüben auf der Großen Pyramide haben mit ihren Muscheltrompeten zur Mitternachtsstunde geblasen. Morgen früh werden sie in gleicher Weise wie immer den Sonnenaufgang verkünden – und unseren schmählichen

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