Goldhand (Ein Artesian Roman) (German Edition)
Rikats Entschluss.
Mit den langsam, im steten Takt verstreichenden Tagen und Wochen, die sich an diesen Abend anschlossen, wuchs eine tiefe, wenn auch von gegenseitiger Vorsicht geprägte Freundschaft zwischen den beiden so ungleichen Männern.
„Warum hast du mein Leben gerettet?“, fragte Rikat an einem kalten Wintermorgen, wenige Tage nach Neujahr, als sie beide beim Frühstück saßen.
„Ich habe dir nicht das Leben gerettet.“ Hockster schüttelte den Kopf. „Ich habe die Blutung der Wunde gestillt und sie dann geschlossen. Das war alles. Jeder hätte das tun können – wenn auch nicht ganz so schnell.“
Rikat lachte. „Ich will nicht mit dir streiten, da du ohnehin immer alles besser weißt, aber seit jenem Tage, da der Söldner mir sein Schwert in die Brust rammen wollte und du ihn davon abgehalten hast, denke ich oft an den Tod.“
Hockster zuckte die Schultern. „Der Tod gehört zum Leben. Hast du dich je gefragt, wie es wäre, ewig zu leben?“
„Nein! Das reizt mich nicht. Sieh mich an. Ich wollte immer Kaufmann werden, Karawanen wollte ich besitzen und die besten Güter befördern. Mir fehlte es allein an Geld, also verlegte ich mich aufs Stehlen. Anfangs sollte es nur für kurze Zeit sein, gerade solange, bis ich genug ‚verdient‘ hätte, um mich irgendwo niederzulassen. Ich bin ein Verbrecher geblieben. Ich kann nicht aus meiner Haut. Ich bin sehr gut als Dieb und als Anführer, aber als Kaufmann?“ Rikat schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Ich habe nie einen Beruf erlernt wie so viele ehrenwerte Männer und ganz ehrlich, inzwischen interessiert mich auch nichts anderes mehr. Aber ewig leben? Nein! Auf ewig ein Verbrecher zu sein und das Leben eines Verfolgten zu führen, das erscheint mir wenig verheißungsvoll.“
Hockster nahm ein Stück Käse. „Ja, die Ewigkeit – das ist wirklich eine lange Zeit. Aber hast du dich nie gefragt, was von dir bleibt, wenn du gehst? Du hast keine Familie, keine Kinder, gerade so wie ich. Wenn ich aber zur Legende würde, wie der Heetländer Falke oder der Meistermagier Bohnthal, dann wäre ich ja unsterblich – in einem gewissen Sinne.“
Rikat winkte ab. „Was wäre das schon? Ein Name verbunden mit einer heroischen Tat. Doch wer würde sich an den wahren Hockster Beltrim erinnern? An den, der immer wütend wird, wenn ihm etwas nicht auf Anhieb gelingt, oder der mit Pflanzen und Tieren, ja sogar mit seinen Edelsteinen spricht, wenn er nachdenken will. Das wird sich in keiner Legende wiederfinden, das glaube mir. Nein, es ist schon besser, sein Leben so gut es geht zu leben und dann Schluss. Viel wichtiger als das, was wir hinterlassen, ist die Art, wie wir gelebt haben – danach will ich mich richten.“
„Weil du nichts zu hinterlassen hast, mein Freund, außer Mord und Totschlag. Ändere dich! Noch ist es Zeit.“ Hockster stand auf und ging in den Stall, während Rikat sich einen Schild um den rechten Armstumpf band und sein Schwert aufnahm, das er nun mit der Linken führen musste. Er lief hinter Hockster her, wandte sich draußen aber nach rechts, wo Hekel eine Übungsfigur aus Holz für ihn aufgestellt hatte, die nun schon seit Wochen seine Schwertstreiche auszuhalten hatte.
Hockster versorgte die Stute, die er ‚Lilli‘ genannt hatte, hörte die hallenden Schläge, die Rikat der Holzfigur beibrachte, und verließ bald darauf den Stall. Er stapfte durch den Schnee hinüber zu Rikat, dessen Schnaufen weithin zu vernehmen war.
„Wie geht es?“, fragte Hockster. Rikat senkte müde den Schwertarm und schüttelte ungehalten den Kopf. „Schlecht, Beltrim. Ich habe kaum Kraft genug im linken Arm, das Schwert anständig zu führen, geschweige denn, die schwierigen Fechtfiguren auszuführen. Ich muss mir etwas einfallen lassen. Ich fühle mich hilflos wie ein Kind.“
Hockster beobachtete Rikat und erkannte die Niedergeschlagenheit im Blick des Diebes. Ja, dachte Hockster, ähnlich ohnmächtig müssen sich jene gefühlt haben, die du ausgeraubt und denen du anschließend die Kehlen hast aufschlitzen lassen - all die vielen ermordeten Männer und die vergewaltigten Frauen, denen du und deine Männer Ehre und Leben genommen haben.
Inzwischen hatte Rikat sich wieder der Übungspuppe zugewandt und seine Übungen wieder aufgenommen. Hockster beobachtete ihn nachdenklich. „Das Schwert ist zu lang“, erklärte er schließlich.
„Was?“ Rikat hielt überrascht inne. „Was war das?“
Hockster wies auf Rikats Klinge. „Das
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