Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
im Schlaf überrascht worden, sie hatten kaum eine Chance.«
Vincenzo schüttelte den Kopf. »Aber als die Feuerwehr eintraf, war das Feuer nur im Erdgeschoss ausgebrochen. Es war kein Problem, den Brand zu löschen. Sorry, Schlaf hin oder her, aber ich werde doch wach, wenn ich Rauch einatme. Und dann wäre der normalste Impuls doch gewesen, das Haus zu verlassen. Waren die Bewohner vielleicht betäubt? Hat denen jemand irgendwas verabreicht?«
Paci winkte ab. »Nein, mitnichten. Aber Kohlenmonoxid ist ein geruch-, geschmack- und farbloses Gas. Überaus heimtückisch, da es sogar Wände und Böden durchdringt. Es ist durchaus schon vorgekommen, dass in einer Wohnung ein Feuer ausbricht, aber in der Nachbarwohnung die Bewohner sterben, weil das Kohlenmonoxid durch die Wand gedrungen ist. Die brechen zusammen, ohne allzu viel zu merken. Kopfschmerzen, Übelkeit, Halluzinationen. Wenn Sie, Commissario, merken würden, dass Sie gerade Kohlenmonoxid einatmen, dann wäre das eine echte Sensation. Bei unseren zwei erwachsenen Opfern im Pflerschtal habe ich zusätzlich große Mengen Alkohol im Blut nachweisen können. Wie ich das sehe, haben die es Silvester so richtig krachen lassen, sind im Vollrausch ins Bett gegangen und haben dann vergessen, den Kamin auszumachen. Das ist ganz sicher eine Familientragödie, aber kein Fall für die Polizia di Stato.«
Vermutlich hatte Paci recht. Das klang alles sehr logisch. Dennoch nahm sich Vincenzo vor, am nächsten Tag ins Pflerschtal zu fahren, um sich routinemäßig bei dem einzigen Zeugen und in der Nachbarschaft umzuhören.
10
Pflerschtal, Donnerstag, 5. Januar
»Grüß Gott, Herr Theiner, Polizia di Stato. Dürfen wir hereinkommen?« Der Commissario und Ispettore Giuseppe Marzoli hatten sich den niedergebrannten Hof im Pflerschtal angesehen. Vincenzo kannte nahezu jeden Winkel seiner Heimat, aber das Pflerschtal zählte zu den wenigen Regionen, die ihm noch unbekannt waren. Wahrscheinlich, weil ihm jenes Tal an der Grenze zu Österreich, unmittelbar am Brenner gelegen, auf irrationale Weise weit entfernt erschien. Dabei lag Gossensaß am Taleingang nicht nur direkt an der Brennerautobahn, sondern war Bozen damit sogar näher als das Ahrntal, eines von Vincenzos Lieblingszielen und zudem Heimat seines Freundes Hans Valentin, dem bekannten Alpinisten.
Als die Beamten von Gossensaß aus fast bis nach Innerpflersch, dem letzten Ort im Tal auf eintausenddreihundert Meter Höhe, gefahren waren, war Vincenzos Faszination mit jedem zurückgelegten Kilometer gewachsen. Das Tal war trotz seiner Nähe zur Autobahn still, tief verschneit und nur dünn besiedelt. Beherrscht wurde es vom Massiv des Tribulaun. Er nahm sich vor, eines der nächsten Wochenenden zu nutzen, um hier Ski zu fahren. Das würde ihn vielleicht auch wieder etwas näher an seine Wurzeln heran- und ein wenig von seinem Frust wegführen.
Ispettore Marzoli hatte die Fahrt über geschwiegen. Er spürte, dass sein Vorgesetzter mit seinen Gedanken woanders war. Seit Giannas Entführung war der Commissario ohnehin nicht mehr derselbe. Er war viel ernster, manchmal fast depressiv, und hatte zugenommen. Nur noch selten dachte er daran, Marzoli seine geliebten Cantuccini mitzubringen. Der Ispettore hatte in seinem ganzen Leben noch niemals Hass empfunden, dafür war er viel zu sanftmütig, doch der Mensch, der der Freundin des Commissario das angetan hatte, weckte in ihm Phantasien, die er sich selbst bis dato nicht zugetraut hätte. In seinen Augen war der Mann eine Ausgeburt des Bösen, als käme er direkt aus der Hölle. Wie war es möglich, dass Menschen so etwas taten? Nicht etwa im Affekt, so etwas war nachvollziehbar, sondern planvoll und analytisch wie ein Roboter, frei von Gefühlen? Normalerweise verbreitete der Commissario mit seiner lockeren, zugewandten Art eine positive, gelöste Stimmung in der Questura. Jeder mochte ihn. Doch seit ein paar Monaten war von seinem heiteren Charakter nicht mehr viel zu spüren. Nur manchmal flackerte der alte Vincenzo Bellini noch in ihm auf, vor allem Reiterer verstand es, ihn mit seinen Provokationen daran zu erinnern, wer er sein bisheriges Leben lang gewesen war. Marzoli hoffte inständig, dass Gianna ihr Trauma überwinden und zu Bellini zurückkehren würde. Seit der Geschichte kam selbst er morgens nicht mehr mit so viel Freude und Optimismus in die Questura wie zuvor. Die Stimmung dort war merkwürdig gedämpft, man hatte das Gefühl, als bekäme man keine
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