Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
Residenzen, Sonnenbrillen und Limousinen beschwört. Der beißende Geruch von Steinkohle evoziert in Minsk vermutlich Bilder von schwarzen Gesichtern, ausströmendem Gas und verrußten Städten, in Belgien dagegen denkt man an den Knoblauchgeruch der Italiener und den Zwiebelgeruch der Maghrebiner. Ähnliches gilt für den Zement in Italien, in Süditalien. Zement. Erdöl des Südens. Ursprung aller Dinge. In Süditalien existiert kein Wirtschaftsimperium, das nicht aus der Baubranche hervorgegangen ist. Ausschreibungen, Bauaufträge, Kies- und Sandgruben, Zement, Betonzuschlag, Mörtel, Backsteine, Baugerüste, Arbeiter. Das ist das Rüstzeug des italienischen Unternehmers. Ein italienischer Unternehmer, dessen Imperium nicht auf das Geschäft mit Zement gegründet ist, kommt nicht weit. Mit Zement läßt sich am leichtesten und schnellsten Geld verdienen. Glaubwürdigkeit gewinnen, in Wahlkampfzeiten Arbeitskräfte einstellen, Gehälter zahlen, sich Finanzierungen sichern, an den Fassaden der Wohnblocks, die man baut, seine Eigenwerbung betreiben. Der Bauunternehmer ist Mittelsmann und Raubvogel in einem. Er verfügt über die Engelsgeduld dessen, der bürokratische Unterlagen verfaßt und endlos auf Genehmigungen warten muß, die so langsam erteilt werden, wie ein Tropfstein wächst. Und wie ein Raubvogel streift er über unauffälliges Gelände, um sich urplötzlich darauf zu stürzen und es für einen Spottpreis an sich zu reißen - nur um anschließend zu warten, bis er jeden Zentimeter Boden und jedes einzelne Erdloch zu einem exorbitanten Preis weiterverkaufen kann. Der räuberische Unternehmer weiß, wie er Schnabel und Krallen einsetzen muß. Die Bauunternehmer erhalten von den italienischen Banken die großzügigsten Kredite, man könnte sagen, italienische Banken sind für die Bauunternehmer geradezu gegründet worden. Und wenn einer wirklich einmal nichts in die Waagschale zu werfen hat, wenn selbst die Häuser, die er bauen will, als Sicherheit nicht ausreichen, gibt es immer einen guten Freund, der bereit ist, für ihn zu bürgen. Zement und Backstein sind die einzigen Realien, die für italienische Banken zählen. Wissenschaftliche Forschung, Laboratorien, Landwirtschaft und Handwerk - für Bankdirektoren ein unsicheres Terrain, nebulös und ohne Bodenhaftung. Zimmer, Stockwerke, Fliesen, Telefon- und Steckdosen dagegen gelten ihnen als handfeste Dinge. Ich weiß, und ich habe Beweise. Ich weiß, wie halb Italien gebaut wurde. Mehr als halb Italien. Ich kenne die Hände, die Finger, die Projekte. Und den Sand. Den Sand, mit dem Wohnblocks und Wolkenkratzer hochgezogen wurden. Ganze Stadtviertel, Parks, Villen. Kein Mensch in Castelvol-turno wird je die endlosen Lkw-Schlangen vergessen, die den Sand aus dem Fluß Volturno abtransportierten. Lkw-Kolon-nen durchquerten das Land der Bauern, die solche Mammuts aus Stahl und Gummi nie zuvor gesehen hatten. Sie hatten hier ausgeharrt, sie waren geblieben und nicht abgewandert, und jetzt nahm man ihnen alles weg. Mit diesem Sand wurden Mietskasernen in den Abruzzen errichtet, Wohnblocks in Varese, Asiago und Genua. Inzwischen fließt nicht mehr der Fluß ins Meer, sondern das Meer in den Fluß. Im Volturno kann man heute Seebarsche angeln, dafür gibt es keine Bauern mehr. Ohne eigenen Grund und Boden fingen sie an, Büffel zu züchten, später gründeten sie kleine Bauunternehmen, in denen sie junge Nigerianer und Südafrikaner beschäftigten, die ehemaligen Saisonarbeiter; und wenn sie sich nicht mit den Unternehmen der Clans zusammenschlossen, war ihnen ein früher Tod gewiß. Ich weiß, und ich habe Beweise. Die Kieswerke erhalten Genehmigungen nur zum Abbau kleiner Mengen, tatsächlich tragen sie ganze Berge ab. Berge und Hügel, zerbröckelt und in den Zement gemischt, mit dem von Teneriffa bis Sassuolo Häuser gebaut werden. Erst der Raubbau an den Menschen, dann an den Dingen. In San Felice a Cancello lernte ich in einer Trattoria den Maurermeister Don Salvatore kennen. Ein lebender Leichnam. Er war fünfzig, sah aber aus wie achtzig. Zehn Jahre lang, so erzählte er mir, sei es seine Aufgabe gewesen, den bei der Abgasentsorgung entstandenen Staub in die Betonmischmaschinen einzuleiten. Diese kla mm hei mli che Entsorgung in den Zement ist der entscheidende Faktor, der es den Bauunternehmern ermöglicht, sich mit absoluten Dumpingpreis-Angeboten an Ausschreibungsverfahren zu beteiligen. Die Giftstoffe befinden sich noch heute in Garagen, Wänden und
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