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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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die Stimmen von draußen hereindrangen; sogar die Schrankschubfächer standen offen. Ich erinnere mich noch an die Pfadfinder, die unten auf der Straße vorbeizogen. Nichts war mehr zu spüren von ihrer wohlanständigen jugendlichen Unbeschwertheit. Es schien, als hätten sie in ihre bizarren gelb-grün gemusterten Halstücher eine erbitterte Wut geknotet, denn Don Peppino war einer von ihnen gewesen. Nie wieder habe ich Pfadfinder gesehen, die dermaßen außer sich waren, so wenig auf Ordnung und Anstand bedacht wie sonst bei ihren langen Märschen. Ich habe nur punktuelle Erinnerungen an diesen Tag. Erinnerungen, gefleckt wie das Fell eines Dalmatiners. Don Peppino Dianas Geschichte ist seltsam, und sie läßt einen nicht mehr los. Sie setzt sich irgendwo im Körper fest, tief in der Kehle, in der geballten Faust, dem Brustmuskel, den Herzkranzgefäßen. Eine außergewöhnliche, wenig bekannte Geschichte.
    Don Peppino hatte in Rom studiert, und hier hätte er bleiben müssen, wenn er fernab seiner Heimat, fernab der Provinz und der schmutzigen Geschäfte hätte Karriere machen wollen. Die klerikale Karriere eines Sohnes aus bürgerlichem Haus. Aber er faßte ganz unvermittelt den Entschluß, nach Casal di Principe zurückzukehren wie jemand, den eine Erinnerung, eine Gewohnheit, ein bestimmter Geruch nicht mehr losläßt. Wie jemand, der von dem Gefühl besessen ist, etwas tun zu müssen, und erst dann Frieden findet, wenn er es getan oder zumindest versucht hat. Don Peppino kam als blutjunger Priester in die Pfarrei San Nicola di Bari, deren moderne Strukturen seinen Vorstellungen in jeder Hinsicht entsprachen, auch ästhetisch. Er lief in Jeans herum, anders als die Geistlichen damals, denen ihre Amtstracht, die Soutane, eine düstere Autorität verlieh. Don Peppino hörte sich nicht die üblichen Familien Streitigkeiten an, weder maßregelte er die Männer wegen ihrer Seitensprünge, noch tröstete er die betrogenen Ehefrauen. Mit einer natürlichen Leichtigkeit gab er der Rolle des Landgeistlichen einen neuen Akzent. Er hatte beschlossen, sich für die Triebkräfte der Macht zu interessieren, nicht nur für die Korollarien des Elends. Er wollte nicht nur die Wunde reinigen, sondern wissen, wie sich die Metastasen ausbreiten, er wollte das Krebsgeschwür stoppen und dem Treiben ein Ende setzen, das seine Heimat zu einer Goldgrube des Kapitals machte, zu einem Ort, dessen Straßen mit Leichen gepflastert waren. Gelegentlich rauchte er sogar in aller Öffentlichkeit eine Zigarre. Woanders wäre das eine völlig harmlose Sache gewesen, hier jedoch kannte man nur den Priester, der sich nach außen hin asketisch gab, auch wenn er in den eigenen vier Wänden seiner Trägheit und Schwäche frönte. Don Peppino hatte beschlossen, daß sein Gesicht ihm selbst gleichen sollte, als Garantie für Transparenz an einem Ort, wo sich die Gesichter zu Fratzen verzerren, um das darzustellen, was man zu sein vorgibt, und wo die Beinamen helfen, sich die Maske der Macht überzustreifen wie eine zweite Haut. Voller Tatendrang hatte Don Peppino begonnen, ein Zentrum zu errichten, in dem die ersten afrikanischen Einwanderer Aufnahme fanden, Essen bekamen und ein Dach über dem Kopf. Eine wichtige Maßnahme, um zu verhindern, daß die Clans perfekte Soldaten aus ihnen machten - wie es später dann geschah. Um sein Vorhaben zu verwirklichen, hatte er einen Teil seiner persönlichen Ersparnisse aufgewendet, die aus seiner Tätigkeit als Lehrer stammten. Das ewige Warten auf staatliche Hilfe führt ja allzuoft zu Lähmung und Erstarrung. Als Priester sah Don Peppino Bosse kommen und gehen, er erlebte die Ausschaltung Bardellinos und den Aufstieg Sandokans und Cicciotto di Mezzanottes mit, die blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Bardellinianern und den Casalesen und später dann zwischen den siegreichen Spitzenleuten.
    Ein denkwürdiges Ereignis aus jener Zeit war ein Autokorso durch die Straßen des Ortes. Eines Abends gegen achtzehn Uhr fuhr ein Dutzend Autos an den Häusern der gegnerischen Clans vorbei. Die siegreichen Gruppen Schiavones wollten ihre Widersacher herausfordern. Ich war damals noch ein Kind, aber meine Cousins schwören, sie hätten es mit eigenen Augen gesehen. Die Kolonne bewegte sich ganz langsam durch die Straßen von San Cipriano, Casapesenna und Casal di Principe, die Männer saßen auf den heruntergelassenen Autofenstern, ein Bein im Wageninnern, das andere in der Luft. Alle mit Maschinenpistolen in der

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