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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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übermüdeten Arbeiter bedient wurde. Die Zeit drängt schließlich. Auch wenn die Großbaustellen noch über Jahre bestehen bleiben, die Subfirmen müssen schnellstmöglich anderen Firmen Platz machen. Abkassieren und weiterziehen. Über vierzig Prozent der in Italien tätigen Baufirmen stammen aus dem Süden. Aus Aversa, Neapel, Salerno. Im Süden können noch Imperien entstehen, kann die Wirtschaft gewaltsam in Schwung gebracht, Kapital kräftig akkumuliert werden. Überall im Süden, von Apulien bis Kalabrien, sollte man Schilder mit der Aufschrift »Herzlich willkommen« aufstellen. Für die Unternehmer, die sich in die Arena des Zements stürzen, um wenige Jahre später in den Salons von Rom und Mailand ein- und auszugehen. Ein »Herzlich willkommen« und viel Glück, denn der Andrang ist groß, und nur wenige schaffen es, nicht im Treibsand zu versinken. Ich weiß. Und ich habe Beweise. Und die neuen Bauunternehmer, die Besitzer von Banken und Jachten, die die Klatschspalten füllen, diese Zuhälter neuen Typs stellen ihren Reichtum nicht offen zur Schau. Vielleicht haben sie ja noch eine Seele. Sie schämen sich zu sagen, woher ihr Reichtum stammt. Wenn in den USA, dem Land, das sie sich zum Vorbild nehmen, ein Unternehmer berühmt und erfolgreich wird, kommt es vor, daß er Analysten und junge Betriebswirte zusammentrommelt, um ihnen über seine Qualitäten als Finanzjongleur Vorträge zu halten und den eigenen Weg zum wirtschaftlichen Erfolg darzulegen. Hier dagegen eisiges Schweigen. Geld ist einfach nur Geld. Fragt man die erfolgreichen Unternehmer aus Aversa, einem Landstrich, der unter der Camorra ungeheuer zu leiden hat, nach ihrem Erfolgsrezept, antworten sie unumwunden: »Ich habe für zehn gekauft und für dreihundert verkauft.« Irgend jemand hat einmal gesagt, im Süden könne man leben wie im Paradies. Man müsse nur den Blick zum Himmel richten und dürfe nie nach unten schauen. Aber das ist unmöglich. Ohne Perspektive gibt es keine ungetrübte Aussicht. Und hier ist jede Perspektive verbaut - überall Balkone, Zimmerdecken, Mansarden, Mietskasernen, Gebäudekomplexe, Wohnviertel. Hier denkst du nicht, daß etwas vom Himmel fallen könnte. Hier geht es gleich runter in die Tiefe. Immer weiter. Denn nach einem Abgrund kommt immer noch ein Abgrund. Wenn ich also eine Treppe hochgehe, durch ein Zimmer laufe und einen Aufzug betrete, nehme ich sie immer wahr, diese Abgründe. Denn ich weiß. Und es ist geradezu krankhaft. Im Kreis der besten und erfolgreichsten Unternehmer wird mir übel. Selbst wenn diese Herren elegant gekleidet sind, mit ruhiger Stimme reden und politisch links wählen. Ihren Socken, ihren Manschettenknöpfen von Bulgari, ihren Bibliotheken haftet der Geruch von Kalk und Zement an und steigt mir in die Nase. Ich weiß. Ich weiß, wer meine Heimatstadt gebaut hat und auch jetzt noch weiter baut. Ich weiß, daß heute nacht ein Zug aus Reggio Calabria abfährt, der um o.15 Uhr in Neapel hält und dann nach Mailand weiterfährt. Er wird voll sein. Am Bahnhof stehen Kleinbusse und staubige Fiat Puntos bereit, um die jungen Männer zu den neuen Baustellen zu bringen. Eine Auswanderung ohne feste Adresse, unerforschbar, unbezifferbar, weil einzig und allein der Kalkstaub ihre Spuren tragt. Ich kenne die wahre politische Verfassung meiner Zeit: sie ist der unternehmerische Reichtum. Jeder Pfeiler eines jeden Hauses wurde mit dem Blut von Menschen gebaut. Ich weiß, und ich habe Beweise. Ich mache keine Gefangenen.
Don Peppino Diana
    Denke ich an den Kampf gegen die Clans von Casal di Principe, San Cipriano, Casapesenna und all der anderen von ihnen beherrschten Territorien zwischen Parete und Formia, sehe ich die weißen Bettlaken, die an jedem Balkon und Geländer hingen und an jedes Fenster geknotet waren. Ein weißes, ein blütenweißes Meer aus Stoff, Ausdruck wütender Trauer anläßlich des Begräbnisses von Don Peppino Diana. Damals, im März 1994, war ich sechzehn Jahre alt. Wie jeden Tag wurde ich von meiner Tante geweckt, diesmal jedoch ungewohnt grob. Sie zog mir das Laken weg, in das ich mich gewickelt hatte, wie wenn man einer Salami die Haut abzieht. Fast wäre ich aus dem Bett gefallen. Nichts, kein Wort sagte sie, dafür klackten ihre Schuhabsätze ganz fürchterlich, als wollte sie auf diese Weise ihrer Empörung Luft machen. Sie band die Laken so fest an die Balkongitter, daß nicht einmal ein Tornado sie hätte lösen können. Und sie riß die Fenster auf, so daß

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