Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
Treppenaufgängen. Und es wird nichts passieren, bis irgendein Arbeiter, womöglich aus dem Maghreb, der jahrelang den Staub eingeatmet hat, an Krebs erkrankt und stirbt und glaubt, es sei einfach nur Pech.
Ich weiß, und ich habe Beweise. Die erfolgreichen italienischen Unternehmer entstammen der Bauindustrie. Sie sind Teil dieses Kreislaufs des Zements. Ich weiß, daß sie mit Zement zu tun hatten, bevor sie Manager wurden, sich mit Fotomodels umgaben und sich Jachten zulegten; bevor sie über Konzerne herfielen und Tageszeitungen kauften. Ihr Aufstieg wäre niemals möglich gewesen ohne den Zement, ohne die Subfirmen, den Sand und Splitt, die Pritschenwagen, vollbesetzt mit Arbeitern, die in der Nacht auf Baustellen schuften und morgens wieder verschwinden, ohne die morschen Gerüste, die gefälschten Sozialversicherungen. Die Dicke der Wände - das ist es, was diesen Zugmaschinen der italienischen Wirtschaft ihre Kraft verleiht. Die Verfassung sollte geändert werden. Es müßte heißen, die Republik gründet auf Zement und auf den Bauunternehmern. Sie sind deren Väter. Nicht Ferruccio Parri, Luigi Einaudi, Pietro Nenni oder Oberst Vale-rio, der Mann, der Mussolini erschoß. Es waren die Baulöwen, die nach Sindonas Bankrott und der Verurteilung durch den Weltwährungsfonds das Land am Schopf aus dem Sumpf gezogen haben. Zementwerke, Bauaufträge, Wohnblocks und Tageszeitungen.
Nach einer Karriere als Killer, Erpresser oder Schmieresteher landen die einfachen Clanmitglieder letztendlich auf dem Bau oder bei der Müllabfuhr. Interessanter als alle Filme, aufschlußreicher als alle Vorträge wäre es doch, wenn man die frisch Rekrutierten über die Baustellen führen und ihnen zeigen würde, welches Schicksal sie erwartet. Wenn ihnen Gefängnis oder der Tod erspart bleiben, werden sie auf einer Baustelle landen, wo sie nicht alt werden und Blut und Kalk husten. Die Unternehmer und Geschäftsleute dagegen, die die Bosse im Griff zu haben glaubten, werden milli onenschwere Aufträge an Land ziehen. Bauarbeit ist tödlich. Und zwar am laufenden Band. Da ist zum einen das Tempo, in dem ein Gebäude hochgezogen wird, die Notwendigkeit, an sämtlichen Sicherheitsmaßnahmen zu sparen und rund um die Uhr arbeiten zu lassen. Unmenschliche Schichten mit neun bis zwölf Arbeitsstunden täglich, einschließlich Samstag und Sonntag. Hundert Euro Wochenlohn, dazu Nacht- und Sonntagszuschläge von fünfzig Euro je zehn Stunden. Die Jüngeren schaffen sogar fünfzehn Stunden. Vielleicht schnupfen sie Kokain. Der Tod auf der Baustelle folgt einem erprobten Muster. Der leblose Körper wird weggeschafft und ein Verkehrsunfall simuliert: man setzt ihn in ein Auto und läßt es eine Böschung oder einen steilen Abhang hinunterrollen, nicht ohne es vorher noch in Brand zu stecken. Was die Versicherung zahlt, bekommt die Familie als Abfindung. Nicht selten ziehen sich auch diejenigen, die einen solchen Unfall inszenieren, schwere Verletzungen zu, zum Beispiel, wenn ein Auto gegen eine Mauer gefahren werden muß, bevor man es samt dem Toten in Brand steckt. Ist der Polier dabei, geht die Geschichte meistens glatt. Wenn nicht, geraten die Arbeiter schnell in Panik. Dann nehmen sie den Schwerverwundeten, den Halbtoten, und schaffen ihn zu einer Straße in Krankenhausnähe. Sie kommen mit dem Wagen, legen den Körper ab und verschwinden. Haben sie übertriebene Skrupel, benachrichtigen sie die Ambulanz. Jeder, der an einer solchen Aktion teilnimmt, weiß, daß seine Kollegen mit ihm genau dasselbe machen werden, wenn er vom Gerüst stürzt oder sich sonstwie schwer verletzt. Du weißt, daß man dir in diesem Fall nur zu Hilfe eilt, um sich deiner zu entledigen und dir den Gnadenstoß zu versetzen. Aus diesem Grund herrscht auf den Baustellen tiefes Mißtrauen. Dein Nebenmann kann dein Henker sein oder du der seine. Er wird dich zwar nicht leiden lassen, aber er wird dich entweder mutterseelenallein am Straßenrand krepieren lassen oder dich in ein Auto setzen und es anzünden. Alle Bauarbeiter wissen, daß es so läuft. Und die Firmen im Süden geben dafür die beste Garantie. Man arbeitet und verschwindet, und wenn es Probleme gibt, werden sie ohne viel Aufhebens gelöst. Ich weiß, und ich habe Beweise. Und die Beweise haben Namen. Innerhalb von sieben Monaten kamen auf Baustellen nördlich von Neapel fünfzehn Arbeiter ums Leben. Vom Gerüst gefallen, unter einen Schaufellader geraten, von einem Kran zerquetscht, der von einem
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