Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
Rechtgrundsätze pervertiert.
Das öffentliche Interesse ist für gewöhnlich so gering, daß schon ein einziges Verdachtsmoment genügt, damit die Presseagenturen nicht mehr vom Tod eines Unschuldigen schreiben. Und falls es nicht noch weitere Tote gibt, ist der Fall bald endgültig erledigt. Das Image Don Peppino Dianas zu zerstören war eine entscheidende Strategie, um den Druck auf die Clans zu mindern und das allzu störende Interesse der Öffentlichkeit zu dämpfen.
Ein Lokalblatt machte sich zum Sprachrohr der Verleumdungskampagne gegen Don Peppino. Mit Schlagzeilen, so fett, daß einem die Buchstaben an den Fingern kleben blieben, wenn man die Zeitung aufschlug. »Don Diana war ein Camor-rist« hieß es da, und ein paar Tage später: »Don Diana im Bett mit zwei Frauen.« Die Botschaft war klar: niemand kann sich gegen die Camorra stellen. Wer das wagt, hat immer ein persönliches Motiv, er hat eine Rechnung offen, ein privates Problem, das im selben schmutzigen Milieu angesiedelt ist.
Don Peppino wurde von seinen alten Freunden, seinen Angehörigen und von den Menschen verteidigt, die ihn auf seinem Weg begleitet hatten. Zu ihnen zählen der Journalist Raffaele Sardo, der in Artikeln und Büchern sein Andenken bewahrt hat, sowie die Journalistin Rosaria Capacchione, die die Strategien der Clans, die List und Schläue der Kronzeugen, ihre komplexe und mörderische Macht eingehend studiert hat.
Mit dem zweitinstanzlichen Urteil im Jahr 2003 wurden große Teile der Aussagen Giuseppe Quadranos in Zweifel gezogen und Vincenzo Verde und Giuseppe Della Medaglia entlastet. Quadrano hatte nur die halbe Wahrheit gesagt und von Anfang an die Strategie verfolgt, jede Verantwortung von sich zu weisen. Aber der Killer war er gewesen, Zeugen und ballistische Gutachten hatten das bestätigt. Giuseppe Quadrano ist der Mörder von Don Peppino Diana. Im zweitinstanzlichen Urteil wurden Verde und Della Medaglia freigesprochen. Der Killertrupp bestand aus Quadrano und Santoro, der den Wagen fuhr. Francesco Piacenti hatte Informationen über Don Diana geliefert und das Kommando geführt; er war von De Falco aus Spanien geschickt worden, um die Operation zu leiten. Die lebenslange Freiheitsstrafe für Piacenti und Santoro wurde auch in zweiter Instanz bestätigt. Quadrano hatte sogar Telefonate mit Mitgliedern seines Clans aufgezeichnet, in denen er beteuerte, mit dem Mord nichts zu tun zu haben. Diese Mitschnitte hatte er der Polizei übergeben. De Falco war der Auftraggeber für den Mord gewesen, und Quadrano wollte nicht als dessen Handlanger dastehen. Höchstwahrscheinlich hatten alle von Quadrano zunächst ins Spiel gebrachten Personen eine Teilna hm e am Mordplan abgelehnt. Sie wollten nichts damit zu tun haben. Gewehre und Pistolen können manchmal nichts ausrichten gegen jemanden, der unbewaffnet, aber mit klaren Worten spricht.
Nunzio De Falco wurde auf der Fahrt im Intercity von
Valencia nach Madrid in Albacete verhaftet. Zusammen mit Leuten der ‘Ndrangheta und einigen Versprengten der Cosa Nostra hatte er ein mächtiges kriminelles Kartell aufgebaut. Nach Erkenntnissen der spanischen Polizei hatte er auch versucht, die Zigeuner im Süden Spaniens in kriminellen Gruppen zu organisieren. Sein Imperium umfaßte Feriendörfer, Spielkasinos, Läden, Hotels. Nachdem die casalesischen und neapolitanischen Clans beschlossen hatten, die Costa del Sol zu einer Perle des Massentourismus zu machen, hatte sich die touristische Infrastruktur dieses Küstenstreifens bestens entwickelt.
Im Januar 2003 wurde De Falco als Auftraggeber des Mordes an Don Peppino Diana zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Als im Gerichtssaal das Urteil verkündet wurde, wäre ich am liebsten in Gelächter ausgebrochen. Ich konnte es nur dadurch unterdrücken, daß ich die Backen aufblies. Die Absurdität der Situation war einfach überwältigend: Nunzio De Falco, einer der Oberbosse der Casalesen, wurde von Gaetano Pecorella verteidigt, der zugleich Vorsitzender des Rechtsausschusses in der Abgeordnetenkammer war. Ich mußte lachen, weil die Clans so mächtig waren, daß sie sogar die Gesetze der Natur und der Fabel außer Kraft gesetzt hatten. Ein Wolf (»lupo«) ließ sich von einem Schaf (»pecorella«) verteidigen. Aber vielleicht delirierte ich schon aufgrund von Müdigkeit und zerrütteten Nerven.
Nunzio De Falco steht sein Spitzname ins Gesicht geschrieben. Es besitzt tatsächlich Ähnlichkeit mit einem Wolf. Das Fahndungsfoto zeigt
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