Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
wurde noch am selben Abend aufgefordert, nach Spanien zu kommen, aber er lehnte ab. Er fühlte sich geschützt durch die Tatsache, daß die Ermordung Don Peppinos der bisherigen militärischen Praxis völlig zuwiderlief. Und da ihnen selbst das Motiv für diesen Mord nicht bekannt war, würden auch die Carabinieri nicht dahinterkommen. Aber als dann die Polizei anfing, in alle Richtungen zu ermitteln, setzte sich Quadrano nach Spanien ab. Später sagte er aus, Francesco Piacenti habe ihm erzählt, Nunzio De Falco, Sebastiano Cate-rino und Mario Santoro hätten ihn, Quadrano, aus dem Weg räumen wollen, vielleicht weil sie den Verdacht hegten, er wolle sie verpfeifen; aber nachdem sie ihn am Tag des Attentats mit seinem kleinen Sohn im Auto gesehen hätten, hätten sie ihn verschont.
In Casal di Principe hörte Sandokan immer öfter seinen Namen im Zusammenhang mit der Ermordung des Priesters. Er ließ daher Don Peppinos Angehörige wissen, seine Leute würden Quadrano früher aufspüren als die Polizei, ihn in drei Teile zerstückeln und diese auf den Kirchplatz werfen. Das war weniger die Androhung von Rache als vielmehr eine klare Botschaft: Schiavone wies die Verantwortung für den Mord an
Don Peppino weit von sich. Um sich nach Francesco Schiavones distanzierender Erklärung zu beratschlagen, trafen sich in Spanien die Leute des De-Falco-Clans. Dabei schlug Giuseppe Quadrano vor, einen Verwandten Schiavones zu töten, zu zerstückeln und in einem Sack vor Don Peppinos Kirche zu legen. Auf diese Weise würde die Verantwortung für den Mord an dem Priester auf Sandokan fallen. Beide Gruppen gelangten unabhängig voneinander zur selben Lösung. Leichen zu zerstückeln und die Einzelteile zu verstreuen ist der beste Weg, eine Botschaft so zu übermitteln, daß man sie nicht mehr vergißt. Don Peppinos Mörder redeten davon, einen menschlichen Körper zu zerteilen, um ihre Position zu besiegeln. Ich dachte noch einmal an den Kampf dieses Priesters, an seinen Primat des Wortes. Dachte daran, wie revolutionär neu und zwingend der Wille ist, im Kampf gegen das Getriebe der Macht allein auf die Kraft des Wortes zu vertrauen. Worte gegen Betonmischmaschinen und Gewehre. Kein symbolischer, sondern ein realer Akt. Um anzuprangern, zu bezeugen, Präsenz zu zeigen. Das Wort, das allein dadurch seine Kraft gewinnt, daß es ausgesprochen wird. Das Wort als Wächter und Zeuge: wahr, solange es artikuliert wird. Ein solches Wort kann man nicht vernichten, es sei denn, man tötet.
Vincenzo Verde, Francesco Piacenti und Giuseppe Della Me-daglia wurden 2001 vom Gericht in Santa Maria Capua Vetere in erster Instanz zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Giuseppe Quadrano hatte schon lange vorher damit begonnen, Don Peppino zu diffamieren. Während seiner Verhöre stellte er Mutmaßungen über mögliche Mordmotive an, um Don Peppinos Engagement durch den Vorwurf zu diskreditieren, er sei selbst in kriminelle Machenschaften verstrickt gewesen. Nunzio De Falco, so erzählte er, habe Don Peppino Waffen ausgehändigt, die dieser ohne Erlaubnis an Walter Schiavone weitergegeben habe; für dieses schwere Vergehen sei er bestraft worden. Auch über ein Verbrechen aus Leidenschaft wurde gemunkelt. Don Peppino Diana sei getötet worden, weil er der Cousine eines Bosses nachgestellt habe. Um eine Frau ein für allemal zu diskriminieren, braucht man sie nur eine »Hure« zu nennen; und einem Priester vorzuwerfen, er sei ein »Hurenbock«, ist der einfachste Weg, ihn zu verurteilen. Am Ende kam noch die Geschichte, Don Peppino sei getötet worden, weil er seine Pflicht als Priester nicht erfüllt und sich geweigert habe, das Requiem für einen Verwandten Quadranos zu lesen. Absurde, lächerliche Vorwürfe, die verhindern sollten, daß Don Peppino zum Märtyrer wurde und seine Worte Verbreitung fanden. Er sollte nicht als Opfer der Camorra, sondern als Soldat der Clans betrachtet werden. Wer die Machtspiele der Camorra nicht kennt, könnte meinen, einen Unschuldigen zu töten zeuge von einer erschreckenden Naivität, da damit nur die Rechtmäßigkeit seines Tuns und seiner Worte bestätigt und die Wahrheit dessen beglaubigt wird, wofür er eingetreten ist. Irrtum. So ist es nie. Wenn im Land der Camorra jemand stirbt, wird er mit so vielen Verdächtigungen überhäuft, bis seine Unschuld nur noch eine vage Vermutung ist, die unwahrscheinlichste. Du bist so lange schuldig, bis du das Gegenteil beweisen kannst. Die Clans haben die modernen
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