Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
Haus zu verlassen, denn auch er ist im Visier der Gegner:
»Ciao, Bruderherz, HDL, geh besser nicht raus, unter keinen Umständen. OK?«
In seinem letzten Telefonat versucht Francesco seiner Freundin zu erklären, daß er verschwinden muß und daß das Leben als Mann des Systems schwierig ist.
»Ich bin mi ttlerweile achtzehn ... die meinen’s ernst ... die machen dich hin ... die legen dich um, Anna!«
Anna aber gibt nicht auf, sie will sich bei den Carabinieri bewerben, um Maresciallo zu werden, ihr eigenes Leben und das von Francesco umkrempeln. Ihr Freund ist durchaus damit einverstanden, daß Anna zu den Carabinieri geht, aber er fühlt sich zu alt, um sein Leben zu ändern.
Francesco: »Ich hab dir’s gesagt, es freut mich für dich ... Aber mein Leben ist anders ... Und ich will mein Leben nicht ändern.«
Anna: »Aha, gut, gut, das freut mich ... Mach nur weiter so, kapiert?«
Francesco: »Anna, Anna, ... sei doch nicht so ...«
Anna: »Aber du bist doch erst achtzehn, du kannst ohne weiteres noch was ändern... Warum bist du nur so resigniert? Das versteh ich nicht ...«
Francesco: »Ich ändere mein Leben nicht, unter keinen Umständen.«
Anna: »Aha, weil’s dir dabei ja so gut geht.«
Francesco: »Nein, mir geht’s überhaupt nicht gut, aber im Moment sind wir unter Druck ... und man muß uns wieder respektieren ... Wenn wir früher im Viertel herumgelaufen sind, hatte niemand den Mut, uns ins Gesicht zu sehen ... jetzt erheben sie alle das Haupt.«
Francesco, der zu den Spaniern gehört, ist am meisten darüber empört, daß niemand mehr ihre Macht fürchtet. Auf ihrer Seite sind zu viele Männer umgebracht worden, und deshalb halten die Leute in seinem Viertel sie für MöchtegernKiller, für gescheiterte Camorristen. Das darf man sich nicht gefallen lassen, man muß reagieren, auch um den Preis des eigenen Lebens. Seine Freundin versucht Francesco aufzuhalten, sie will, daß er sich nicht schon verloren glaubt.
Anna: »Du mußt dich nicht in dieses Schlamassel mit hineinziehen lassen, du kannst ganz ruhig leben ...«
Francesco: »Nein, ich will mein Leben nicht ändern ...«
Der blutjunge Abtrünnige hat Angst davor, daß die Di Lauro seine Freundin ins Visier nehmen könnten, doch er beruhigt sie mit dem Argument, er habe viele Mädchen gehabt, niemand könne behaupten, Anna sei seine Freundin. Dann aber gesteht er ihr ganz romantisch, sie sei jetzt seine einzige ...
»... Am Schluß hatte ich dreißig Frauen im Viertel ... jetzt aber, wo ich nicht mehr raus kann, ruf ich nur noch dich an ...«
Anna scheint keine Angst davor zu haben, in die Fänge des Clans zu geraten, und denkt, jung wie sie ist, nur an Francescos letzte Worte:
Anna: »Ich würde es so gern glauben.«
Der Krieg geht weiter. Am 24. November 2004 wird Salvatore Abbinante ermordet. Sie schießen ihm ins Gesicht. Er war der Neffe von Raffaele Abbinante, einem der Anführer der Spanier aus Marano. Dem Territorium der Nuvoletta. Die Mara-nesen ließen viele ihrer Leute samt Familie in den Ortsteil Monterosa umziehen, um aktiv am Markt von Secondigliano zu partizipieren, und Raffaele Abbinante war laut Anklage der Manager der Mafia in Secondigliano. Abbinante besaß höchstes Ansehen in Spanien, wo er das Territorium der Costa del Sol beherrschte. Bei einer umfangreichen Beschlagnahmungsaktion wurden 1997 zweitausendfünfhundert Kilo Haschisch, tausendzwanzig Ecstasy-Pillen und tausendfünfhundert Kilo Kokain sichergestellt. Die Staatsanwaltschaft wies nach, daß die neapolitanischen Kartelle der Abbinante und Nuvoletta fast den ganzen Markt für synthetische Drogen in Spanien und
Italien unter ihrer Kontrolle hatten. Nach dem Mord an Sal-vatore Abbinante fürchtete man, daß die Nuvoletta einschreiten und damit auch die Cosa Nostra in den Krieg von Secondigliano hineinziehen würden. Doch nichts geschah, jedenfalls militärisch nicht. Die Nuvoletta öffneten die Grenzen ihrer Territorien für die flüchtigen Abtrünnigen und machten damit die Kritik der Cosa Nostra in Kampanien an Cosimos Krieg deutlich. Am 25. November töteten die Di Lauro Antonio Esposito in seinem Lebensmittelladen. Als ich am Tatort eintraf, lag die Leiche zwischen Wasserflaschen und Milchtüten. Zwei Beamte packten ihn an der Jacke und den Füßen und legten ihn auf eine Bahre aus Metall. Als der Leichenwagen weggefahren war, erschien eine Frau im Laden, um die Milchtüten vom Boden wieder einzuräumen und die Blutspritzer von der Wursttheke
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