Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
folgt ein weiterer Schlag. Sie mißhandeln ihn immer weiter, er soll gestehen. Aber er tut es nicht. Oder vielleicht kennt er das Versteck wirklich nicht. Einen Monat später erliegt er seinen schweren Verletzungen.
Am 2. November wird Massimo Galdiero auf einem Parkplatz umgebracht. Das Ziel war sein Bruder Gennaro, angeblich ein Freund von Raffaele Amato. Am 6. November ist in der Via Labriola Antonio Landieri an der Reihe, um ihn zu erwischen, schießen sie auf die ganze Gruppe, die um ihn herum steht. Fünf Menschen werden schwer verletzt. Alle hatten einen Umschlagplatz für Kokain in der Hand und gehörten anscheinend zu Gennaro McKay. Die Spanier reagieren jedoch und parken, nachdem sie die Polizeikontrollen umgangen haben, einen weißen Fiat Punto mitten auf der Via Cupa Perillo. Am hellichten Nachmittag findet die Polizei drei Leichen. Stefano Maisto, Mario Maisto und Stefano Mauriello. Hinter jeder Wagentür finden die Polizisten einen Toten. Vorne, hinten, im Kofferraum. Am 20. November emorden sie in Mu-gnano Biagio Migliaccio. Er wird in der Autowerkstatt, in der er arbeitet, umgebracht. Die Mörder rufen: »Das ist ein Überfall !« und schießen ihn in die Brust. Der Anschlag galt Biagios Onkel Giacomo. Noch am selben Tag antworten die Spanier mit der Ermordung von Gennaro Emolo, dem Vater eines der engsten Vertrauten der Di Lauro, der angeblich zum militärischen Flügel gehört. Am 21. November erschießen die Di Lauro in einem Tabakgeschäft Domenico Riccio und Salva-tore Gagliardi, die Raffale Abbinante nahestehen. Eine Stunde später stirbt Francesco Tortora. Die Killer kommen nicht mit dem Motorrad, sondern im Auto. Sie nähern sich, schießen und laden die Leiche ins Auto wie einen Sack. Dann bringen sie ihn zur Peripherie von Casavatore, wo sie das Auto mitsamt der Leiche in Flammen aufgehen lassen. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Am 22. November um Mitternacht finden die Carabinieri ein ausgebranntes Auto. Noch eins.
Um die Fehde weiter zu verfolgen, hatte ich mir ein Radio besorgt, mit dem man die Frequenz des Polizeifunks abhören konnte. So kam ich mit meiner Vespa ungefähr gleichzeitig mit den Streifenwagen an. An diesem Abend aber war ich eingeschlafen. Das gleichmäßige Gekrächze der Zentralen war zu einer Art Schlaflied für mich geworden. Daher wurde ich diesmal mitten in der Nacht von einem Anruf geweckt. Am Ort des Geschehens fand ich ein völlig ausgebranntes Auto. Sie hatten es mit Benzin übergossen. Literweise Benzin. Überall. Benzin auf den Vordersitzen, Benzin auf der Rückbank, auf den Rädern, auf dem Lenkrad. Die Flammen waren schon niedergebrannt und das Glas explodiert, als die Feuerwehr erschien. Ich weiß nicht genau, warum ich es so eilig hatte, dieses Autowrack zu besichtigen. Es stank fürchterlich nach verbranntem Plastik. Ein paar Leute standen herum, ein Polizist leuchtete mit seiner Taschenlampe zwischen die Blechteile. Da lag ein Körper oder etwas Ähnliches. Die Feuerwehrmänner öffneten die Türen und packten die Leiche mit einem Ausdruck des Abscheus an. Einem Carabiniere wurde schlecht, und er erbrach, an die Mauer gelehnt, die Pasta mit Kartoffeln, die er wenige Stunden zuvor gegessen hatte. Der Körper war nur noch ein steifer, völlig schwarzer Stumpf, das Gesicht ein verkohlter Totenkopf, die Beine von den Flammen gehäutet. Die Feuerwehrmänner faßten die Leiche an den Armen und legten sie auf die Erde, bis der Leichenwagen kam.
Die Totengräber sind mit ihrem Kleinlaster von Torre Annunziata bis Scampia ununterbrochen unterwegs. Sie laden die Leichen von Erschossenen ein, legen sie übereinander und schaffen sie weg. Kampanien ist die Region mit den meisten Ermordeten in ganz Italien und nimmt weltweit einen der ersten Plätze ein. Die Reifen des Leichenwagens sind vollkommen abgefahren, ein Foto dieser bis auf den grauen Mantel abgeriebenen Reifen könnte als Symbol für diese Gegend dienen. Die Typen, die dem Kleinlaster entsteigen, tragen, als sie sich ans Werk machen, ganz verschmutzte, schon unzählige Male benutzte Latexhandschuhe. Sie stecken den Leichnam in ein Futteral, den schwarzen body bag, den man normalerweise für tote Soldaten benutzt. Der Körper sieht aus wie einer von denen, die unter der Asche des Vesuv gefunden und von den Archäologen mit Gips ausgegossen wurden. Inzwischen haben sich Dutzende Menschen eingefunden, aber alle schweigen. Als wäre niemand da. Man wagt nicht einmal, heftig zu atmen. Seit in der Camorra Krieg
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