GONE Hunger
ein weißes Pflaster auf ihrem Nasenrücken. Das half. So könnte sie als Junge durchgehen. Hoffentlich.
Diana trat in den Flur. Er war leer, was nicht weiter verwunderlich war. Das Abendessen oder das, was sich dafür ausgab, war längst vorüber. Die Kids waren schwach, litten Hunger und lagen meist kraftlos und lethargisch in ihren Betten.
Diana würde keinen Wagen nehmen. Am Eingangstor zur Coates Academy waren Wachen postiert. Sie würden sie aufhalten und Drake holen. Wahrscheinlich würde Drake sie gehen lassen. Immerhin war sie auf Befehl von Caine unterwegs.
Vielleicht aber auch nicht. Diesem Psychopathen war zuzutrauen, dass er die Gelegenheit nutzte, um Diana zu einem »Unfall« zu verhelfen.
Sie verließ das Gebäude durch einen Nebeneingang und gelangte auf einen Pfad, der zum Waldrand führte. Das Knirschen ihrer Turnschuhe auf dem Kies dröhnte überlaut in ihren wachsamen Ohren und sie war froh, als ihre Schritte kurz darauf vom weichen Waldboden verschluckt wurden.
Um das Tor zu umgehen, musste sie einen weiten Umweg in Kauf nehmen. Der Himmel leuchtete zwar noch im tiefen Blau der Abenddämmerung, doch unter den Baumwipfeln war es bereits dunkel.
Es dauerte eine Stunde, bis sie sich durch das Buschwerk gekämpft hatte. Kurz befürchtete sie, nicht mehr zur Straße zurückzufinde n – für Diana sah ein Wald wie jeder andere aus. Als sie schließlich eine Böschung erreichte, an ihr hochkletterte und auf den Asphalt sprang, war die Nacht hereingebrochen.
Diana hatte noch keine Idee, wie sie Jack zur Rückkehr bewegen sollte. Ihn niederzuschlagen und auf dem Rücken zu Caine zu tragen, schien kein guter Plan. Sie musste sich etwas anderes einfallen lassen. Raffinierter vorgehen. War Jack nicht immer schon in sie verknallt gewesen?
Astrid stöpselte das Kabel in ihren Computer und verband das andere Ende mit der Kamera, um die sie Edilio gebeten hatte. Er hatte ihr erzählt, dass bei Sams Angriff auf die Würmer mehrere Kids mit Kameras dabei gewesen waren. Die besten Fotos hatte ein elfjähriger Junge namens Matteo geschossen. Es war seine Kamera.
Als iPhoto offen war, klickte sie auf Importieren . Die Bilder wurden nun nacheinander im Viewer gezeigt.
Auf den ersten Fotos waren Leute zu sehen, die bloß rumstanden, gefolgt von Aufnahmen vom Feld und mehreren hungrig herangezoomten Melonen. Auf den nächsten sah sie Sam, das Gesicht zu einer Maske aus kalter Wut verzerrt, Bilder von Orc, der an der Motorhaube eines Jeeps lehnte, eines von Dekka mit verschlossener Miene, und schließlich noch welche von Howard, Edilio und anderen Leuten.
Dann kam der Viewer zu dem Moment, als sich die Erde in die Luft hob.
Und Sam zu feuern begann.
Als alle Fotos hochgeladen waren, ging Astrid sie noch einmal der Reihe nach durch. Der Junge hatte eine gute Kamera benutzt und ein paar tolle Fotos gemacht. Sobald sie die schwebenden Erdklumpen vergrößerte, konnte Astrid die Würmer deutlich erkennen. Spektakulär war auch die Aufnahme von Sams erstem Feuerblitz.
Sie klickte weiter, doch plötzlich hielt sie inne, ging zurück und zoomte das Bild heran.
Einer der Würmer hatte sich mit gefletschten Zähnen und teuflischem Grinsen Sam zugewandt. Das wäre nicht weiter bemerkenswert gewesen, wenn der nächste Wurm, den sie vergrößerte, nicht genau dasselbe getan hätte. Dieselbe Richtung, dasselbe Grinsen.
Von den Würmern gab es insgesamt neunzehn solcher Fotos.
Als sie jetzt einen älteren Ordner anklickte, zitterte ihre Hand. Sie öffnete die Aufnahmen von dem toten Wurm, den Sam mitgebracht hatte, zoomte das Scheusal heran und sah sich den Kopf genau an.
Sam betrat den Raum. Er stellte sich hinter sie und legte seine Hände auf ihre Schultern.
»Alles klar?«
»Nicht wirklich«, sagte sie. »Pete ist wegen Nestor ausgerastet. Ich habe zwei Stunden gebraucht, um ihn zu beruhigen.«
»Nestor?«
»Seine russische Matroschkapuppe. Du hast sie kaputt getreten, als die Monster da waren.«
»Ach so. Hab’s nicht mit Absicht getan. Was schaust du dir an?«
»Die Würmer. Sie starren alle in deine Richtung.«
»Sie anzugreifen, war sinnlos.«
Astrid drehte sich zu ihm um.
»Den Blick kenne ich«, sagte Sam. »Okay, sag schon, was ist mir entgangen?«
» Womit sehen sie dich an?«
Sam benötigte eine Sekunde. »Sie haben keine Augen.«
»Eben. Ich habe das noch einmal überprüft. Trotzdem scheinen sie dich anzustarren, während sie in der Luft hängen und mit Lichtenergie beschossen
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