GONE Hunger
unterwegs.
Als er sich müde auf den Heimweg machte, kam er an der im Dunkeln liegenden Kirche vorbei. Seit die ursprüngliche Lichtanlage zerstört war, wurde sie nur noch an den Versammlungsabenden beleuchtet. Dazu hatten sie ein paar Lampen aufgestellt, die über ein Verlängerungskabel mit dem Rathaus verbunden waren.
Duck hatte sich angewöhnt, in der Mitte der Straße zu gehen, da er den tiefen Schatten an den Straßenrändern misstraute. Aus dem Schutthaufen neben der Kirche drang ein Rascheln. Wahrscheinlich ein Hund. Oder Ratten.
Doch dann folgte ein gepresstes Flüstern: »Hey! Hey, Duck!«
Duck blieb stehen. Das Flüstern kam aus der Kirche.
»Hey, Mann!«, sagte die Stimme schon etwas lauter.
»Wer ist da?«
»Ich bin’s, Hunter. Sei leise. Wenn sie mich finden, bringen sie mich um.«
»Wieso? Wer?«
»Duck, komm her. Ich kann hier nicht rumschreien.«
Duck rechnete mit einem blöden Trick und überquerte die Straße nur zögernd.
Hunter verbarg sich hinter einem Mauerstück, das noch Teile eines Fensters mit bunten Glasscheiben enthielt. Als Duck näher kam, stand er auf. Er sah nicht so aus, als würde er einen Scherz auf Ducks Kosten planen, sondern wirkte völlig verängstigt.
»Was ist?«, fragte Duck.
»Komm zu mir herüber, damit uns keiner sieht.«
Duck kletterte über den Schutt und schürfte sich dabei das Schienbein auf.
»Okay, Mann«, meinte Duck in Hunters Versteck. »Worum geht’s?«
»Kannst du mir helfen? Ich hatte kein Abendessen.«
»Ä h …«
»Ich hab Hunger.«
»Alle haben Hunger«, meinte Duck. »Mein Abendessen war ein Becher Bratensaft.«
Hunter seufzte. »Ich verhungere hier. Kein Abendessen und fast kein Mittagessen, weil ich mir was aufheben wollte.«
»Warum versteckst du dich hier?«
»Wegen Zil. Er und ein paar andere Normale sind hinter mir her.«
»Willst du mich verarschen?«
»Nein, nein. Ehrlich nicht. Es tut mir auch leid, dass ich dich verspottet habe. Ich wollte einfach nur dazugehören, verstehst du?«
»Nein, Hunter, das verstehe ich nicht.«
Hunter zögerte. Kurz sah es so aus, als würde er sauer werden, doch dann sank er in sich zusammen, als wäre ihm die Luft ausgegangen. Duck kniete sich unbeholfen neben ihn. Hunters Hilflosigkeit wurde ihm noch bewusster, als er das verräterische Schniefen hörte. Hunter weinte.
»Was ist passiert?«, fragte Duck.
»Zil. Den kennst du doch, oder? Wir haben uns gestritten. Er ist völlig ausgerastet, wollte mit dem Schürhaken auf mich losgehen, mich umbringen. Was sollte ich denn tun?«
»Was hast du getan?«
»Ich war total im Recht«, erzählte Hunter weiter. »Bloß hab ich nicht Zil erwischt, sondern Harry. Er kam plötzlich angerannt, ging dazwischen.«
»Okay.«
Hunter schniefte noch einmal. »Nein, Mann, nichts ist okay. Harry hat was abgekriegt und ist umgefallen. Du musst mir helfen, bitte!«
»Ich? Warum gerade ich? Sonst hackst du doch nur auf mir herum.«
»Ja, das stimmt«, gab Hunter zu. Er hatte aufgehört zu weinen, aber seine Stimme wurde noch flehender. »Hör mal, du und ich, wir sitzen im selben Boot.«
»Ä h … wieso das denn?«
»Weil wir Freaks sind, Mann. Du kapierst es nicht, was?« Ducks Begriffsstutzigkeit half ihm, seine Fassung wiederzufinden. »Zil hetzt die Normalen gegen uns Mutanten auf. Gegen uns alle.«
Duck schüttelte verwirrt den Kopf. »Wovon redest du?«
Hunter packte ihn am Arm. »Von jetzt an heißt es, wir gegen sie. Verstehst du? Freaks gegen Normale.«
»Quatsch«, erwiderte Duck. »Erstens hab ich niemandem was getan. Und zweitens sind Astrid und Edilio normal. Es stimmt also gar nicht, dass alle gegen uns sind.«
»Denkst du wirklich, sie verschonen dich? Dass dir nichts passieren kann? Gut. Dann geh. Lauf nach Hause und tu so, als wäre nichts. Spätestens dann, wenn du dich vor ihnen verstecken musst, wirst du’s begreifen.«
Duck löste sich aus Hunters Griff. »Ich schau mal, ob ich dir was zu essen bringen kann. Aber in deine Probleme lass ich mich nicht reinziehen.«
Duck kletterte wieder über den Schutt und gelangte zurück auf die Straße.
Hunters heiseres Flüstern folgte ihm. »Freaks gegen Normale, Duck. Und du bist ein Freak.«
Jack schwitzte wie in der Sauna. Ihm tat das Schienbein weh.
Aber mehr noch der Draht.
Die Drähte.
Brianna würde sie nicht sehen. Sie würde wie ein Geschoss angeflogen kommen. Jack sah alles mit quälender Deutlichkeit vor sich: Brianna, die auf den Draht traf und in zwei Hälften
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