GONE Verloren
ihn mit ihren nachtschwarzen Augen förmlich zu durchbohren schien, war ihm das ziemlich unangenehm. Er wollte den Blick abwenden, schaffte es aber aus irgendeinem Grund nicht.
»Ah«, sagte sie, als hätte er ihr gerade eine faszinierende Geschichte erzählt. Dann ließ sie seine Hand los und schmunzelte. »Sos o … Komm, gehen wir, der Furchtlose fragt sich sonst, wo seine Anhänger bleiben.«
Die Kirche war katholisch. Sie war vor hundert Jahren von einem reichen Gönner errichtet worden, dem die Konservenfabrik gehört hatte, eine seit Langem leer stehende und vor sich hin rostende Scheußlichkeit am Jachthafen.
Ihre hoch aufragenden Bögen, die sechs Heiligenstatuen und die kunstvollen, inzwischen blank gesessenen Holzbänke verliehen der Kirche mehr Pracht, als dem kleinen Perdido Beach in Wirklichkeit zustand. Sam fühlte sich winzig und eindeutig fehl am Platz.
Caine war selbstbewusst auf die Kanzel geschritten. Der Altar war nichts Besonderes, bloß ein Dreieck aus blassem Marmor, zu dem drei Stufen mit einem weinroten Läufer führten. Auf der zweiten Stufe blieb Caine stehen.
Aus Perdido Beach waren insgesamt fünfzehn Leute da. Zu ihnen zählten Sam, Quinn, Astrid und der kleine Pete, Mary Terrafino, Elwood Booker, der zu den besten Sportlern seines Jahrgangs zählte, seine Freundin Dahra Baidoo, Orc, der mit richtigem Name Charles Merriman hieß, Howard Bassem und Tony Gilder, der den Spitznamen Cookie hatte.
Von der Coates Academy waren außer Caine nur drei weitere Schüler anwesend: ein Junge namens Drake Merwin, ein kalt lächelnder, nervöser Kerl mit gemeinen Augen und struppigen sandfarbenen Haaren, Diana Ladris und ein verloren wirkender Fünftklässler mit großer Brille und blonden abstehenden Haaren, den Caine als Computer-Jack vorstellte.
Die Kids von Perdido Beach saßen in den Kirchenbänken. Orc und seine Crew lümmelten in der ersten Reihe, Computer-Jack hatte sich auf der anderen Seite des Mittelgangs an den äußersten Rand der Bank zurückgezogen. Drake Merwin hatte grinsend und mit über der Brust verschränkten Armen links von Caine Aufstellung bezogen, während Diana Ladris rechts von Caine stand und die anderen im Auge behielt.
Wieder drängte sich Sam der Verdacht auf, dass sie alles zuvor einstudiert haben mussten, angefangen von der Autokolonne – schon allein dafür mussten sie stundenlang geübt haben – bis hin zu diesem Auftritt. Sie mussten sofort nach Eintreten der FAYZ mit den Proben begonnen haben.
Das war ein beunruhigender Gedanke.
Nachdem sich alle vorgestellt hatten, kam Caine unverzüglich zur Sache und erklärte seinen Plan.
»Wir müssen zusammenarbeiten«, sagte er. »Und uns organisieren, damit nichts zerstört wird und Probleme bewältigt werden. Ich finde, es sollte unser Ziel sein, das zu erhalten, was da ist. Wenn die Barriere eines Tages fällt und die Verschwundenen zurückkehren, sollen sie denken, wir haben gute Arbeit geleistet und alles fest im Griff gehabt.«
»Der Captain macht das schon«, meldete sich Howard.
»Und er macht es offenbar gut«, sagte Caine. Er stieg die Stufen herab und näherte sich Orc. »Aber für einen allein ist das eine Riesenbelastung. Warum soll Captain Orc alles selber tun müssen? Wir brauchen ein System und einen Plan.«
Dann sprach er den Schlägertyp direkt an: »Captain Orc, ich kann mir nicht vorstellen, dass du für alles selbst verantwortlich sein willst. Ich meine, willst du wirklich ganz allein dafür sorgen müssen, dass die Lebensmittel verteilt und die Kranken gepflegt werden und die Kita funktioniert? Und dann noch all das Zeug lesen müssen, das zu lesen ist, und schreiben, was geschrieben werden muss, damit es hier halbwegs funktioniert?«
»Er hat erraten, dass Orc praktisch Analphabet ist«, flüsterte Astrid.
Orc warf Howard einen Blick zu, doch der starrte wie hypnotisiert zu Caine. Orc zuckte die Achseln. Astrid hatte Recht gehabt, beim Gedanken ans Lesen und Schreiben wurde ihm mulmig.
»Eben«, sagte Caine, als wäre Orcs Achselzucken ein Zeichen der Zustimmung. Er kehrte zur Mitte des Altars zurück. »Die Stromversorgung funktioniert. Aber das Kommunikationssystem ist kaputt. Mein Freund Computer-Jack denkt, er schafft es, die Handys wieder in Gang zu bringen.«
Das löste aufgeregtes Murmeln aus. Caine hob beide Hände. »Damit meine ich nicht, dass wir jemanden außerhalb der FAYZ anrufen können. Aber wir wären wenigstens in der Lage, miteinander zu kommunizieren.«
Die
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