Gott-Poker (German Edition)
war noch blind, ein winziges hautüberzogenes Knäuel, das fiepend um Milch und Wärme bat.
» Nun, Eston«, sagte Marin mit einer großspurigen Geste, die dem Alten beinahe die Kapuze vom Kopf schlug, »wir werden sehen, was diese Unternehmung uns bescheren wird. Wir bringen die Katze wieder ins Spiel, und wir werden uns laben an den Verwicklungen, bis wir ihrer überdrüssig werden. Dann werden wir, so wir Lust darauf verspüren, das Schönste der frisch zerstörten Leben den Atem aushauchen lassen und meiner süßlichen Madeleine, Madeleine-Mary, meinem trotzigen Käferchen, eine junge Gespielin zur Seite legen. Oh welche Lust diese Welt bereithält, vermag man sie nur aus ihr herauszukitzeln!«
Marin sprach im Tonfall eines mittelmäßigen Schauspielers, der seine Rolle in ei nem low-budget-Vampirfilm probt und die Enttäuschung darüber, dass er es nicht zu einer hochwertigeren Rolle gebracht hat, durch den amüsierten Ton in seinen theatralischen Äußerungen zu verbergen suchte, was ihm aber nicht gelang. Eston warf seinem Herrn einen Blick zu, der zu jeweils 33.33 Prozent aus Abscheu, Mitleid und Ergebenheit bestand, zog hörbar den Rotz durch die Nase und spuckte aus.
An Bord des Schiffes angelangt , wollte Falier sich sogleich zur Ruhe begeben. Es dämmerte bereits; die Überfahrt versprach lang zu werden. Eston schleppte einen der mit Erde gefüllten Särge heran, doch Marin scheuchte ihn mit den Worten »Was bist du doch altmodisch, Eston, alter Knabe« weg und hieß ihn das Himmelbett richten.
Drei Nächte später öffnete die Katze die Augen. Sie erblickten ihn zuerst, Marin Falier, der gerade in süße Vorfreude verloren, Pläne schmiedend, ihren winzigen Körper wiegte, sie zu nähren. Der Bauch des Schiffes war tief und nur von Estons alter triefender Öllampe erhellt, von der er sich auch in Zeiten der Elektrizität nicht zu trennen vermochte. Unter sich spürte der Graf ein Rucken und hörte das dumpfe Murmeln, mit dem Eston Kohlen schaufelte.
» Ich werde sie finden, mein Kätzchen, ich werde sie finden, die am meisten unter den Menschen darunter leidet, dass die Welt so mühsam ist, so wie auch ich einst darunter litt«, wisperte der Graf der kleinen Katze ins weich und weiß hervorsprießende Fell. »Es gibt nicht viele von ihnen unter den Menschen, es sind zu jedem Zeitalter nur einige wenige, die von derselben Sehnsucht gequält sind, die einst auch mir das Herz aus der Brust riss, die mir erlaubte zu werden, was ich bin. Aber es gibt sie, zu jeder Zeit gibt es sie, und bereits hier, im dunklen Bauch des schwankenden Schiffes, habe ich ihre Fährte aufgenommen, ich spüre ihre Nähe, schon bin ich in ihre Träume eingedrungen, und bald, bald wird sie mein sein, und mit ihr alle, die sie liebt.«
Wieder wurde Falier unwohl über seiner theatral ischen Rede, und dieses Mal, in der Einsamkeit und Stille des Schiffsbauches, ließen sich die beißenden Selbstzweifel nicht mehr vertreiben. Ihm blieb nichts übrig, als zu seiner Notlösung zu greifen: Immer, wenn die Verzweiflung über sein trauriges Dasein überhandnahm, pflegte Marin niederzuknien und sich vorzustellen, er sei Hiob, der von Gott geprüft wurde, mit unendlichen Qualen und dem tragischen Schicksal einer drittklassigen Romanfigur, um vielleicht, vielleicht, wenn er seine Sache gut machte und sich nicht zu gut war für seine lächerliche Rolle, irgendwann aufsteigen zu dürfen, zu einer richtigen Rolle, zu einer ernsthaften, einflussreichen Hauptfigur. Dieser Gedanke trieb ihn stets zu Höchstleistungen an. Zu Hause rief er dann nach Eston, der mit einer Gerte auf ihn einprügeln musste, wodurch seine Begeisterung sich ins Unermessliche steigerte, doch Eston hatte jetzt keine Zeit; er musste Kohlen schaufeln. Also musste Marin alleine zurecht kommen. Er erfüllte seine Rolle mit Hingabe und verfeinerte ihre Nuancen, er kauerte am Boden und dachte sich eigene kleine Schachzüge aus, um seinem Spiel etwas Brillanz zu verleihen. Doch im Hyperventilieren seiner Gefallsucht lag eine Falle: Sobald er zu gut wurde, ergriff ihn abermals Panik, Gott könnte ihn durchschauen und ihn der Superbia , der schlimmsten aller Todsünden bezichtigen. Aus Scham und zur Strafe kniff er sich mit den Fingernägeln in die Oberschenkel, bis die Tränen aus seinen gelben Augen die Schiffsplanken benetzten.
Die Katze schmiegte sich an ihn und trat mit i hren winzigen Füßchen gegen seinen kalten Körper, wie um ihn zu wärmen; sie mochte ihn offenbar,
Weitere Kostenlose Bücher