Gottes erste Diener
verschwand die Religion praktisch ganz — wegen der
Ehelosigkeit. Dieses Paradoxon sollte sich bis auf den heutigen Tag fortsetzen.
Die Angelegenheit wurde
schließlich von Urban II. 1095 in Piacenza geregelt. Ein Konzil von 400
Klerikern und 30 000 Laien verdammte Priesterehen ein für allemal. Um den
biblischen Impuls dieser Maßnahme zu beweisen, verkauften sie die Ehefrauen der
Priester in die Sklaverei.
Das Zölibat ins Statutenbuch zu
bekommen, war erst der Anfang. Ohne den weltlichen Arm wäre es toter Buchstabe
gewesen. Als der Erzfeind Gregors VII., Heinrich IV., von seinem
rechtgläubigeren Sohn abgesetzt wurde, wurde das Zölibat in Deutschland und dem
ganzen Reich durchgesetzt. Aber wenn ein Mann am Kopf rasiert und in
Meßgewänder gesteckt wurde, war seine Natur noch keine andere. Die Priester
nannten weiterhin ihre Ehefrauen presbytera. Tatsächlich wurden Kanones,
wann immer sie promulgiert wurden, mit erstaunlicher Geschwindigkeit vergessen.
Bischöfe wie der Erzbischof von Rouen wurden von ihrem Klerus vertrieben, weil
sie das Zölibat promulgierten, und gebeten, nie wiederzukommen.
Und das schändliche cullagium schlich sich ein, eine Gebühr für Konkubinen. Die Kleriker konnten ihren
Bischöfen das königliche Siegel der Billigung für ihre häuslichen Umstände
zeigen. Manchmal profitierten Bischöfe und Erzdiakone selbst von dieser
Sexsteuer; in Rom war es der Papst.
In der Normandie hatten
Priester nicht nur Ehefrauen; sie schlossen feierliche Verträge mit deren
Familien, sie standesgemäß zu erhalten und alle Mädchen und Jungen, die aus der
Verbindung geboren wurden, mit Kirchengut auszustatten. An vielen Orten wurden
Pfründen vom Vater über den Sohn und den Enkel an den Urenkel weitergegeben. In
der Bretagne waren die Bischöfe von Dol, Rennes und Nantes verheiratet; ihre
Frauen wurden höflichkeitshalber mit dem Titel Gräfin bedacht. Dies war ein
immer wiederkehrendes Muster. Strenge Gesetze wurden erlassen, und die Autoritäten
konnten sie nicht durchsetzen, selbst wenn sie willens waren. Die menschliche
Natur erwies sich als zu stark für sie. Erzdiakone, die verpflichtet waren, für
die Einhaltung der Kanones zu sorgen, begingen oft die schwersten Verstöße.
Ein solcher war Aldebert von Le
Mans. Er unterhielt einen öffentlichen Harem und frohlockte ob seiner
zahlreichen Nachkommenschaft. Er erregte so wenig Anstoß, daß man ihn zum
Bischof machte.
In Klöstern und Konventen
grassierte die Promiskuität. Der große Ivo von Chartres (1040—1115) erzählt von
ganzen Konventen mit Insassinnen, die nur dem Namen nach Nonnen waren. Sie
waren oft von ihren Familien aufgegeben worden und in Wirklichkeit
Prostituierte.
Ein folgenreicher Wandel
Selbst Katholiken wähnen
manchmal, das Zölibat des Klerus seiim zwölften
Jahrhundert eingeführt worden. Das ist ein weitverbreiteter Irrtum. Das Zölibat
wurde zwar schlecht eingehalten, ist aber etliche Jahrhunderte älter. Doch
etwas Entscheidendes geschah tatsächlich unter Papst Callistus II. Er berief
1123 das erste allgemeine Konzil der Westkirche ein, das als Erstes
Lateranisches Konzil bekannt ist. Tausend Prälaten bestimmten, daß Priesterehen
getrennt und die Eheleute mit Bußen belegt werden sollten, weil diese Ehen
ungültig waren. Zum erstenmal wurde verkündet, Ehelosigkeit sei die stärkste
geistliche Realität. Durch sie war ein Priester in seiner Seele gezeichnet als
ein Mann, der so weit von den Laien entfernt war, daß er nicht einmal gültig
das Sakrament der Ehe schließen konnte. Diese Lehre war neu; sie ging gegen
eine jahrhundertelange Tradition. Man braucht nur den hl. Gregor den Großen zu
zitieren, der 602 deutlich machte, daß die Ehe eines Priesters gültig war, daß
er aber wählen mußte, ob er seine Frau oder sein Amt behalten wollte. Callistus
nahm diese Alternative zurück. Die Ehe eines Priesters wurde durch seine Weihe
ungültig.
Das Lateranum I änderte am
Verhalten der Priester nicht mehr als andere Konzilien. Deshalb wiederholte
Lateranum II1139 seine Lehre. Eine Verbindung, die im Widerspruch zur
kirchlichen Vorschrift der Ehelosigkeit geschlossen wurde, war keine wirkliche
Ehe. Zwar bestätigte Papst Eugen IV. dies 1148 beim Konzil von Reims, doch
selbst in Rom war es noch heiß umstritten. Der große Kirchenrechtler Gratian,
der unter Eugens Ägide schrieb, hatte spürbar Schwierigkeiten damit. Er lehrte
weiterhin, ein Diakon könne heiraten, wenn er das Amt verlassen wolle,
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