Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
sogenannten guten Lebensart gemildert; und er übt so manche kleine Täuschungen, und nimmt, um sich beliebt zu machen, den Anschein so mancher edeln Gefühle an, daß es schwer wird, seinen künstlichen Charakter von seinem wahren zu unterscheiden. Der Indianer dagegen, frei von dem Zwange und der Verfeinerung des gebildeten Lebens, und in hohem Grade ein einsames, unabhängiges Wesen, gehorcht dem Antriebe seiner Neigung oder den Eingebungen seiner Urtheilskraft; und so werden die Eigenschaften seiner Natur, da er ihnen freien Lauf läßt, ungewöhnlich groß und auffallend. Die bürgerliche Gesellschaft ist wie ein Rasen, auf welchem jede Erhöhung gleich gemacht, jeder Dornbusch ausgerottet ist, und wo das Auge durch das lachende Grün einer sammtnen Fläche erfreut wird; wer aber die Natur in ihrer Wildheit und Mannigfaltigkeit studiren will, muß sich in den Wald verlieren, die Schlucht erforschen, den Gießbach dämmen und an den Abgrund wagen.
Diese Betrachtungen entstanden bei dem zufälligen Durchsehen eines Werkes über die frühere Geschichte der Colonie, worin mit großer Bitterkeit die Gewaltthätigkeiten der Indianer und ihre Kriege mit den Ansiedlern in Neu-England erzählt werden. Es ist betrübend, selbst aus diesen einzelnen Berichten zu sehen, wie die Fußstapfen der Civilisation in dem Blute der Eingebornen gesucht werden müssen; wie leicht die Colonisten durch die Eroberungssucht zur Feindseligkeit bewegt wurden; wie schonungslos und mörderisch ihre Kriegsführung war. Die Einbildungskraft schaudert bei dem Gedanken, wie viele vernunftbegabte Wesen von der Erde vertilgt wurden, wie manche brave und edle Herzen, vom ächten Gepräge der Natur, gebrochen und in den Staub getreten wurden!
Dieß war das Schicksal Philipp’s von Pokanoket , eines indianischen Kriegers, dessen Name einst der Schrecken von ganz Massachusetts und Connecticut war. Er war der ausgezeichnetste mehrerer gleichzeitiger Sachem’s, welche über die Pequod’s, die Narrhaganset’s, die Wampanoag’s und die übrigen östlichen Stämme, zur Zeit der ersten Ansiedelungen in Neu-England, herrschten, ein Haufen eingeborner roher Helden, die den edelsten Kampf kämpften dessen die menschliche Natur fähig ist, – und bis zu dem letzten Athemzuge, ohne die geringste Hoffnung auf Sieg oder einen Gedanken an Ruhm, für die Sache ihres Vaterlandes fochten. Werth eines dichterischen Zeitalters, und würdige Gegenstände für Ortsgeschichte und romantische Dichtung, haben sie kaum eine glaubwürdige Spur in dem Buche der Geschichte hinterlassen, sondern schleichen, wie riesenhafte Schatten, in dem trüben Dämmerlicht der Sage umher.
Als die Pilger, wie die Ansiedler von Plymonth von ihren Abkömmlingen genannt werden, zuerst vor den religiösen Verfolgungen der alten Welt eine Zuflucht an den Küsten der neuen suchten, war ihre Lage im äußersten Grade traurig und entmuthigend. An Zahl gering, und diese durch Krankheit und Mühseligkeiten schnell schmelzend; von einer öden Wüste und wilden Stämmen umgeben; der Strenge eines beinahe nordpolartigen Winters und dem Wechsel eines beständig veränderlichen Klima’s ausgesetzt, waren ihre Gemüther mit trüben Ahnungen erfüllt, und nichts konnte sie vor Verzweiflung bewahren, als die gewaltige Erregung ihres religiösen Enthusiasmus. In dieser hülflosen Lage besuchte sie Massasoit, der Haupt-Sagamore der Wampanoag’s, ein mächtiger Häuptling, welcher einen großen Strich Landes beherrschte. Statt aus der geringen Anzahl der Fremden einen Vortheil zu ziehen, und sie aus seinem Gebiet, in das sie eingedrungen waren, zu vertreiben, schien er plötzlich eine großsinnige Freundschaft für sie zu fassen, und übte die Sitte der Gastfreundschaft der ersten Zeiten gegen sie aus. Er kam zeitig im Frühjahr in ihre Niederlassung von Neu-Plymouth, nur von einer Handvoll seiner Leute begleitet; ging ein feierliches Friedens-und Freundschaftsbündniß mit ihnen ein; verkaufte ihnen einen Theil des Bodens, und versprach ihnen, seine wilden Bundesgenossen für sie zu gewinnen. Was man auch von der Treulosigkeit der Indianer sagen mag, so ist es gewiß, daß Massasoit’s Rechtlichkeit und Aufrichtigkeit nie in Zweifel gezogen worden sind. Er blieb ein treuer, großmüthiger Freund der Weißen; duldete es, daß sie ihre Besitzungen ausdehnten und sich im Lande verstärkten, und ließ durchaus keine Eifersucht über ihre wachsende Macht und ihr Gedeihen blicken. Kurz vor seinem Tode kam er
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