Gottspieler
Hürdenlauf. Als erstes wurde ihr erklärt, daß sie keinen Klinikausweis besitze, und ohne den könne man sie leider nicht aufnehmen. Erst auf zweimaliges Nachfragen informierte sie eine desinteressierte Angestellte darüber, daß die Ausweise im ID-Büro im dritten Stock zu erhalten seien.
Dreißig Minuten später kehrte sie, bewaffnet mit einem neuen Klinikausweis, der verdächtig an eine Kreditkarte erinnerte, wieder ins Foyer zurück, wo sie sich mit einem weiteren, scheinbar unüberwindlichen Problem konfrontiert sah. Da sie einen Doppelnamen führte, beharrte der Computer darauf, die Nummer ihrer Heiratsurkunde haben zu müssen. Erst als auch diese Hürde endlich hinter ihr lag, wurde Cassi ein Zimmer im siebzehnten Stock zugeteilt, und eine freundliche Frau in einem grünen Kittel begleitete sie nach oben, allerdings nicht umgehend in den siebzehnten Stock, sondern in den zweiten, um eine Röntgenaufnahme von ihrer Brust machen zu lassen. Cassi sagte, daß erst vor knapp sechs Wochen im Rahmen einer Routineuntersuchung Röntgenaufnahmen von ihrer Brust gemacht worden seien und daß sie keine Lust hätte, das Ganze schon wieder über sich ergehen zu lassen. Die Röntgenstation behauptete, die Anästhesie würde niemand anästhesieren, der nicht geröntgt worden sei, und es dauerte eine weitere Stunde, bis Cassi den Leiter der Anästhesie dazu gebracht hatte, daß er Obermeyer anrief, der sich wiederum mit Jackson, dem Leiter der Röntgenstation, in Verbindung setzte. Nachdem Jackson sich Cassis alte Bilder angeschaut hatte, rief er Obermeyer zurück, der daraufhin das gleiche beim Leiter der Anästhesie tat, auf daß dieser sich bei dem diensttuenden Röntgentechniker in Cassis Sinn verwenden möge. Die neuen Aufnahmen fielen unter den Tisch.
Der Rest der Prozedur ging vergleichsweise glatt, einschließlich des Abstechers ins Labor, wo sie sich Blut abnehmen und eine Urinprobe hinterlassen mußte. Endlich wurde Cassi in einem hellblau gehaltenen Zweibettzimmer abgeliefert.
Ihre Zimmergenossin war einundsechzig und trug einen Verband über dem linken Auge.
»Ich heiße Mary Sullivan«, sagte sie, nachdem Cassi sich vorgestellt hatte. Sie wirkte älter, als sie war, weil sie ihre Zahnprothese nicht eingesetzt hatte.
Cassi überlegte, was für einer Operation sich die Frau wohl unterzogen hatte.
»Die Netzhaut hat sich abgelöst«, sagte Mary, als könne sie Gedanken lesen. »Sie mußten das Auge herausnehmen und sie mit einem Laserstrahl wieder ankleben.«
Cassi lachte, obwohl ihr nicht danach zumute war. »Ich glaube kaum, daß man Ihnen das Auge herausgenommen hat«, sagte sie.
»Und ob. Als der Doktor mir das erstemal den Verband abnahm, habe ich alles doppelt gesehen, so daß ich sogar glaubte, sie hätten es schief wieder eingesetzt.«
Mit einem vagen Nicken begann Cassi, ihre Tasche auszupacken, Insulin und Spritzen verstaute sie sorgfältig in der Nachttischschublade. Heute abend würde sie noch ihre normale Dosis zu sich nehmen, aber ab dann durfte sie mit den Injektionen erst wieder anfangen, wenn ihr Internist, Dr. McInery, sein Einverständnis dazu gab.
Anschließend zog sie sich aus und schlüpfte in ihren Pyjama, ein ausgesprochen alberner Vorgang um diese Tageszeit, aber auch für eine derartige Verordnung gab es Gründe. Indem man den Patienten in Bettkleidung steckte, erleichterte man ihm den Übergang zur Krankenhausroutine. Auch Cassi spürte die Veränderung sofort. Jetzt war sie eine Patientin.
Erstaunt registrierte sie, wie sehr ihr nach all den Jahren imKrankenhaus ihr weißer Kittel und der damit verbundene Status fehlten. Selbst als sie nur das Zimmer verließ, hatte sie schon ein ungutes Gefühl, als täte sie etwas Verbotenes. Und als sie im achtzehnten Stock auftauchte, um Robert zu besuchen, kam sie sich wie ein Eindringling vor.
Sie klopfte an die Tür von Zimmer 1847, erhielt aber keine Antwort. Leise drückte sie die Klinke herunter und trat ein. Robert lag auf dem Rücken und schnarchte sanft vor sich hin. Unter seinem linken Mundwinkel klebte ein kleiner Tropfen getrockneten Bluts. Cassi trat ans Bett und betrachtete ihn einen Moment lang. Offenbar lag er noch im Betäubungsschlaf. Wie sich das für eine Ärztin gehörte, warf sie einen prüfenden Blick auf die Infusionsflasche. Gleichmäßig tropfte die Flüssigkeit in den Schlauch. Cassi führte ihren Zeigefinger an die Lippen und legte ihn Robert dann auf die Stirn. Auf dem Weg zur Tür bemerkte sie einen Stapel
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