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Gottspieler

Gottspieler

Titel: Gottspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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verschwunden.
    Seufzend nahm er die Füße vom Schreibtisch, warf die Zeitung, in der er gelesen hatte, aufs Bücherregal und trank einen letzten Schluck aus seiner Kaffeetasse. Er nahm seine Bleischürze von einem Haken hinter der Tür und legte sie an.
    Um halb elf Uhr morgens erinnerte die Röntgenstation Joseph immer an ein großes Kaufhaus zur Ausverkaufszeit. Es wimmelte von Leuten, die in Rollstühlen, auf Bänken und Bahren warteten, bis sie an der Reihe waren. Ihre Gesichter wirkten gleichzeitig leer und erwartungsvoll. Ein Gefühl von Langeweile überfiel Joseph. Er arbeitete jetzt bereits seit vierzehn Jahren als Röntgenologe und mußte sich eingestehen, daß es ihn längst nicht mehr so reizte wie am Anfang. Ein Tag war wie der andere. Wenn nicht vor ein paar Jahren mit der Einführung der Computer-Tomographie eine umwälzende Entwicklung stattgefunden hätte, wäre er vielleicht längst in einem anderen Beruf tätig geworden. Als er die Tür zu Nummer drei aufstieß, fragte er sich, was er wohl tun könnte, wenn er nicht mehr als Röntgenologe arbeitete. Unglücklicherweise hatte er keine einzige brauchbare Idee.
    Raum drei war der größte der fünf für Herzkatheterisierung geeigneten Räume. Er verfügte über die neuesten technischen Errungenschaften und hatte seine eigene Leuchtwand. Joseph fiel sofort auf, daß an der Wand noch die Röntgenbilder von jemand anderem hingen. Er hatte seinen Mitarbeitern tausendmal gesagt, daß er keine alten Filme mehr in seinem Raum herumliegen haben wollte, wenn er eine Untersuchung vornahm. Und dann merkte er, daß keine Assistentin da war.
    Joseph spürte, wie sein Blutdruck zu steigen begann. Es war eine Kardinalregel, daß ein Patient niemals unbeaufsichtigt bleiben durfte. »Verdammt!« fluchte Joseph leise. Der Patient lag auf dem Untersuchungstisch, bedeckt mit einem dünnen weißen Tuch. Er schien etwa fünfzehn Jahre alt zu sein, hatte ein breites Gesicht und borstenkurz geschnittene Haare. Seine dunklen Augen beobachteten jede von Josephs Bewegungen. Neben dem Tisch war ein Infusionsständer aufgebaut, der Schlauch verschwand unter der Decke.
    »Hallo«, sagte Joseph und zwang sich zu einem Lächeln.
    Der Patient regte sich nicht. Als Joseph sich das Krankenblatt ansah, bemerkte er, daß der Hals des Jungen kräftig und muskulös war. Ein weiterer Blick auf das Gesicht des Jungen sagte ihm, daß er es hier nicht mit einem normalen Patienten zu tun hatte. Seine Augen waren abnorm verdreht, und seine Zunge, die ein gutes Stück zwischen seinen Lippen hervorsah, war riesig.
    »Nun, was haben wir denn hier?« sagte Joseph mit einem Anflug von Unbehagen. Er wünschte sich, der Junge möge etwas sagen oder wenigstens woanders hinblicken. Er klappte das Krankenblatt auf und las die beiliegende Notiz.
    »Sam Stevens ist ein zweiundzwanzigjähriger männlicher Weißer mit ausgeprägter Muskulatur, der sich seit seinem vierten Lebensjahr wegen undiagnostizierter geistiger Zurückgebliebenheit in Anstaltsverwahrung befindet. Eingeliefert zur operativen Behandlung eines Geburtsfehlers an der Herzscheidewand …«
    Die Tür zum Röntgenraum flog auf, und Sally Marcheson kam herein, in der Hand einen Stapel Kassetten. »Hallo, Dr. Riggin«, rief sie.
    »Warum ist der Patient alleingelassen worden?«
    Sally blieb kurz vor dem Röntgenapparat stehen. »Allein?«
    »Allein«, wiederholte Joseph deutlich verärgert.
    »Wo ist denn Gloria? Sie sollte eigentlich …«
    »Um Himmels willen, Sally«, brüllte Joseph. »Patienten dürfen niemals alleingelassen werden. Geht das nicht in Ihren Schädel?«
    Sally zuckte mit den Schultern. »Ich bin doch nur fünfzehn oder zwanzig Minuten fort gewesen.«
    »Und was ist mit den Röntgenbildern da? Warum sind sie noch nicht abgenommen?«
    Sally warf einen Blick auf die Leuchtwand. »Keine Ahnung. Als ich wegging, waren sie noch nicht da.«
    Rasch begann Sally die Röntgenbilder abzunehmen und in ein Kuvert zu stopfen, das auf dem Tisch darunter gelegen hatte. Es handelte sich um ein Coronarangiogramm, und sie hatte keine Ahnung, warum die Aufnahmen hier herumhingen.
    Joseph öffnete einen sterilen Kittel und fuhr hinein, wobei er leise vor sich hin brummelte. Ein Seitenblick zeigte ihm, daß der Junge sich noch immer nicht bewegt hatte. Die verdrehten Augen folgten ihm, wohin er auch ging.
    Mit einem fürchterlichen Krachen rammte Sally die Kassetten in den Apparat, ehe sie das sterile Tuch von der Katheterschale nahm.
    Während

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