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Gottspieler

Gottspieler

Titel: Gottspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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die sie sich injizierte, und ihre Diät ausbalanciert waren. Ihr Internist, Dr. Malcolm McInery, sprach gelegentlich davon, sie an ein Insulin-Infusionsgerät anschließen zu lassen, aber Cassi lehnte jedesmal ab. Es widerstrebte ihr, ein System zu ändern, das funktionierte. Sie hatte sich längst daran gewöhnt, sich jeden Tag zwei Injektionen zu geben, eine vor dem Frühstück und eine vor dem Abendessen. Es bereitete keinerlei Umstände mehr.
    Cassi schloß das rechte Auge und betrachtete den Teststreifen mit dem linken. Sie nahm nur einen schwachen Lichtschein wahr, als blickte sie durch eine schmutzige Glaswand. »Dieses verflixte Auge!« fluchte sie leise. Der Gedanke, blind zu werden, ängstigte sie mehr als die Vorstellung, sterben zu müssen. Die Tatsache des Todes konnte sie ignorieren, genau wie jeder andere. Die Möglichkeit, blind zu werden, war schon schwerer zu verdrängen, wenn man ein Auge hatte, das einen Tag für Tag darauf stieß. Das Problem war ganz plötzlich aufgetaucht. Man hatte ihr erklärt, daß ein Äderchen geplatzt sei und die Linsenhöhle sich mit Blut gefüllt habe.
    Während sie sich die Hände wusch, warf sie einen Blick in den Spiegel. Die einsame Deckenlampe schmeichelte ihr, wie sie fand; sie gab ihrem Teint mehr Farbe, als er wirklich hatte. Sie betrachtete ihre Nase. Zu klein für den Rest des Gesichts. Und dann die Augen: Sie waren an den äußeren Winkeln unnatürlich nach oben gebogen, als hätte sie das Haar zu straffzurückgezogen. Anschließend versuchte sie, sich im Ganzen zu betrachten, ohne den Akzent auf einen bestimmten Teil des Gesichts zu legen. War sie wirklich so attraktiv, wie die Leute immer sagten? Sie war sich nie hübsch vorgekommen. Oft glaubte sie, jeder könnte ihr auf den ersten Blick ansehen, daß sie Diabetes hatte – ein gravierender Makel, der ihr in Leuchtbuchstaben quer über der Stirn geschrieben stand.
    Allerdings war das nicht immer so gewesen. In der High-School hatte sie das Problem auf einen kleinen Teil ihres Lebens zu reduzieren versucht, etwas, das sich in einem Fach verschließen und vergessen ließ. Obwohl sie ihre Medizin nahm und Diät hielt, wollte sie nicht darüber nachdenken.
    Verständlicherweise fanden ihre Eltern, besonders die Mutter, diese Einstellung besorgniserregend. Sie waren der Meinung, daß Cassi nur dann fähig sein würde, die Disziplin aufzubringen, die sie brauchte, um zu überleben, wenn sie ihren Alltag ganz auf die Krankheit abstimmte. So jedenfalls hätte Mrs. Cassidy gehandelt.
    Kurz vor dem Abitur begann die Krise sich zuzuspitzen.
    Cassi kam völlig außer sich vor Freude und Aufregung nach Hause. Die Abiturfeier sollte in dem vornehmen örtlichen Country Club abgehalten werden. Nach einem Frühstück in der Schule sollte die ganze Klasse nach New Jersey fahren und den Rest des Wochenendes am Meer verbringen.
    Völlig unerwartet war Cassi von Tim Bartholomew, einem der begehrtesten Jungen an der Schule, zum Abiturball eingeladen worden. Er hatte sich schon vorher ein paarmal mit ihr unterhalten, weil sie beide Physik als Wahlfach betrieben; er hatte sie aber nie zum Ausgehen eingeladen, so daß die Einladung ganz überraschend kam. Die Vorstellung, mit einem so umschwärmten Jungen zum größten gesellschaftlichen Ereignis des Jahres zu gehen, war fast mehr, als Cassi ertragen konnte.
    Cassis Vater erfuhr die große Neuigkeit als erster. Als eherverknöcherter Geologieprofessor an der Columbia University konnte er ihre Begeisterung nur teilweise nachvollziehen, freute sich aber, daß sie so glücklich war.
    Ihre Mutter brachte weniger Enthusiasmus auf. Sie erlaubte ihr zwar die Teilnahme an den Feierlichkeiten, verlangte aber, daß sie anschließend nach Hause kam, statt zu dem Frühstück zu gehen.
    »Bei solchen Gelegenheiten ist die Küche nicht auf Diabetiker abgestimmt«, sagte sie, »und was das Wochenende an der Küste und den Ball betrifft, so kommt das schon auf gar keinen Fall in Frage!«
    Da sie mit einer so ablehnenden Reaktion nicht im mindesten gerechnet hatte, brach Cassi in Tränen aus. Schluchzend wies sie darauf hin, daß sie immer ihre Medizin genommen und ihre Diät eingehalten habe; niemand könne ihr das Recht streitig machen, so wie alle anderen auch an der Feier teilzunehmen.
    Doch Mrs. Cassidy blieb hart wie Stein und erklärte ihrer Tochter, daß sie nur um ihr Wohlergehen besorgt sei. Dann fügte sie hinzu, Cassi müsse sich an die Tatsache gewöhnen, daß sie nicht normal

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