Gottspieler
Lungen und saugte sie wieder ab, so daß es aussah, als lebte er noch.
»Gibt einem nicht gerade blindes Vertrauen in die Kunst der Chirurgen«, sagte Andrea und legte den Hörer wieder auf die Gabel.
»Ich frage mich, was da schiefgelaufen ist«, sagte Trudy. »Er war so stabil.«
Dann stellte sie den Respirator aus. Das Zischen hörte auf, Mr. Harwicks Brust fiel in sich zusammen und bewegte sich nicht mehr.
Andrea verschloß die Infusionsflasche. »Wahrscheinlich ist es besser so«, sagte sie. »Jetzt kann sich die Familie darauf einstellen und anschließend das Leben weitergehen lassen.«
5
Zwei Wochen waren vergangen, seit Thomas von Cassis Besuch bei seiner Mutter erfahren hatte. Obwohl der anschließende Streit nur kurz gedauert hatte, war daraus eine fast unerträgliche Spannung entstanden. Selbst Thomas war seine wachsende Abhängigkeit von Percodan aufgefallen, aber irgend etwas mußte er schließlich nehmen, um seine Angst zu besänftigen.
Als er jetzt den Gang entlangeilte, weil er im Begriff stand, zu spät zur monatlichen Exituskonferenz zu kommen, spürte er, wie sein Puls raste.
Die Konferenz hatte bereits begonnen, und der Chefarzt der Chirurgie schilderte den ersten Fall, ein Traumaopfer, das kurz nach der Einlieferung in die Notaufnahme gestorben war. Der diensthabende Arzt und sein Assistent hatten die Warnzeichen übersehen, die darauf hindeuteten, daß der Beutel, der das Herz umgab, verletzt worden war und sich mit Blut füllte. Da keiner der privaten Fachärzte betroffen war, konnten die Anwesenden alle Schuld genüßlich auf das Hauspersonal schieben.
Wenn einer der privaten Fachärzte für den Fall zuständig gewesen wäre, hätte die Diskussion einen völlig anderen Verlauf genommen. Zwar wären dieselben Punkte vorgetragen worden, aber nur um dem Verantwortlichen gleich anschließend zu versichern, daß ein Hämatoperikard schwer zu diagnostizieren sei und er das Menschenmögliche getan habe.
Thomas hatte schon frühzeitig begriffen, daß die Exituskonferenz mehr dazu diente, Schuldgefühle zu begraben, als Sühne zu leisten, es sei denn, der Missetäter war ein Praktikant. Ein Laie mochte vielleicht zu der Annahme neigen, einer solchen Konferenz fiele eine Art Wächterfunktion zu, aber leider Gottes war dem nicht so, wie Thomas zynisch bemerkte. Der nächste Fall war dafür der beste Beweis.
Dr. Ballantine stieg aufs Podium, um vom Tod Herbert Harwicks zu berichten. Nachdem er geendet hatte, las ein beleibter Pathologe hastig die Ergebnisse der Autopsie vor und zeigte ein paar Dias vom Gehirn des Verstorbenen, das in keinem guten Zustand mehr gewesen war.
Anschließend wurde über den Exitus von Mr. Harwick diskutiert, aber niemand ließ anklingen, daß Harwicks Trauma im OP vielleicht eine Folge von Dr. Ballantines Unfähigkeit sein könnte. Die allgemeine Einstellung der Anwesenden hättesich mit den Worten »Wer bin ich, daß ich den ersten Stein werfen soll« zusammenfassen lassen. Was Thomas dabei so krank machte, war, daß niemand sich an einen ähnlichen Fall zu erinnern schien, den Dr. Ballantine vor sechs Monaten präsentiert hatte. Luftembolie war eine gefürchtete Komplikation, die sich gelegentlich ergab, egal, was man tat, aber die Tatsache, daß sie bei Ballantine immer häufiger passierte, wurde stets totgeschwiegen.
Ebenso erstaunlich war – zumindest soweit es Thomas betraf –, daß kein Wort über die Umstände des Todes auf der Intensivstation verloren wurde. Nach seinen Informationen war der Zustand des Patienten bis zu dem plötzlichen Herzstillstand lange Zeit stabil gewesen. Thomas blickte sich im Publikum um und rätselte, warum keiner der Anwesenden den Mund aufmachte.
»Wenn sonst niemand mehr etwas sagen möchte«, meinte Ballantine, »sollten wir uns meiner Meinung nach dem nächsten Fall zuwenden. Unseligerweise sitze ich noch immer auf der Anklagebank.« Ein dünnes Lächeln geisterte über sein Gesicht. »Der Name des Patienten war Bruce Wilkinson. Er war weiß, zweiundvierzig Jahre alt und hatte eine Herzattacke erlitten. Darüber hinaus gab es Anzeichen für fokal beeinträchtigte Coronarzirkulation, was ihn als geeigneten Kandidaten für eine dreifache by-pass -Operation erscheinen ließ.«
Thomas richtete sich auf. Er konnte sich noch gut an Wilkinson und die Nacht erinnern, in der er versucht hatte, ihn wieder ins Leben zurückzuholen. Die beinahe surrealistische Szene stand klar und deutlich vor seinem geistigen
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