Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
Halbherzigkeit, die Euch jetzt zu schaffen macht, denn morgen müßt Ihr Stellung beziehen und Euren Mann st e hen!« Er machte Anstalten, sich wieder zu erheben, doch Nicola drückte ihn noch einmal auf die Kissen.
»Ich habe Angst«, klagte er, »Angst, meine bisherige Position zu verlieren, Angst vor dem falschen Zug.« Er wagte nicht, dem Templer ins Gesicht zu schauen, o b gleich er liebend gern darin eine Antwort gelesen hätte. Er hätte nicht, denn Gavins Züge blieben unbeweglich, darin gle i chen sich kampferprobte Soldaten und erfahr e ne Spieler.
»Trennt Euch von der Illusion, Exzellenz, Ihr würdet hier noch Figuren schieben.« Gavin war jetzt hart. »Ihr werdet geschoben. Setzt auf das richtige Pferd, und haltet Euch im Sattel, gleich wie hoch es auch steigt, sich bäumt und schüttelt. Fallt Ihr runter, so geratet Ihr gena u so unter die Hufe, als würdet Ihr auf dem falschen Pferd in ansche i nend sicherem Ritt von der Lanze in den Sand gestoßen werden.«
Der Bischof sah nun doch dem Templer in die Augen, voller Zweifel.
»Es wird zum Kampf kommen«, sagte der Präzeptor; »ob es ein Hauen und Stechen wird, liegt vor allem an u n serer Festigkeit. Euer Platz ist – wie der meine –« , Gavin ve r suchte, dem Schwankenden Mut zuzusprechen, »an der Seite der Kinder.«
Er klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und ließ sich nicht länger aufhalten.
Es war noch vor Mitternacht, als der päpstliche Legat Anselm von Longjumeau nebst Simon von Saint-Quentin unter Führung des arabischen Kaufmanns die Altstadt durchquert hatte.
Das düstere Auftreten des Trupps hielt räuberische Ba n den von ihnen fern. Wenn die Mönche auch sichtbar ke i ne Waffen trugen, so ging von ihnen doch eine Aura der G e fährlichkei t a us, besonders von dem Mann, der schon Ble s suren im Kampf davongetragen hatte. Der unter seinen Wundverbänden gefesselte Vitus stampfte schweigend hi n terher, doch war er es, der die Richtung b e stimmte. Der hoch über der Stadt gelegene Bischofspalast zog ihn m a gisch an, und seine in Ketten gelegte Ungeduld sorgte d a für, daß der kleine Trupp nirgendwo länger verweilte.
»In meinem ganzen Leben als vielgereister Missionar«, keuchte Fra ’ Ascelin, »habe ich noch nie so viele Jünger Buddhas, Parzen, Kopten und Starzen, ketzerische Man i chäer, Patarener und Bugo-milen, orthodoxe Jakobiten und Andreaner, schismatische Armenier und Jovianer, chassid i sche Juden, persische Feueranbeter, Brahmanen und Sch a manen, tanzende Derwische, entrückte Sufis, schlangenbe f lötende Fakire, Gebetsmühlen rasselnde Tibetaner, ve r renkte Yogis und von noch ferner die schlitzäugigen Sch ü ler eines Laotse, Illuministen und Hermet i ker auf einen Schlag gesehen wie in dieser Nacht!«
»Ihr habt all die vergessen«, schmunzelte der Muselm a ne, »die man nicht erkennt, die Gnostiker, die Druiden, die Pythagoreer, die Neuplatoniker, die Essener und die Cha l däer, die Ismaeliten und ihren unsichtbaren Schwer t arm, die aus dem Nichts zuschlagenden Gefolgsleute des Alten vom Berge!«
»Ihr denkt an die Assassinen?« hakte Simon ein, da er sah, daß Fra ’ Ascelin noch Luft holen mußte nach seiner so beredten Aufzählung der sich überschlagenden Ei n drücke einer Nacht in Byzanz. »Dolchstoß-Legenden aus der Zeit der ersten Kreuzzüge. Sie sind so unsichtbar, weil es sie nie gegeben hat!«
»Still«, fauchte Vitus leise; es war das erste Mal, daß er ein Wort an seine Begleiter richtete. »Wenn ihr unb e dingt quatschen müßt, dann hebt es Euch für später auf!«
Über ihnen erhoben sich die Mauern des Kallistos-Palastes. Sie stahlen sich am Tor vorbei, als sie sahen, daß am Ende der da-hinterliegenden Freitreppe noch Fackeln in den Haltern brannten und die Wache aufgezogen war. Le i se schlichen sie an den Mauern entlang, auf der Suche nach einem weiteren Ei n laß. Sie fanden keinen. Glatt und ohne jede verdächtige Unterbrechung zogen sich die hohen Wände rings um den mächtigen Besitz, wenn man von dem Brunnen a b sah, der an einer Stelle in die Mauerquadern eingefügt war. Er stel l te einen jungen Dionysos dar, voll im Fleische, der mit einem alten Satyr um den Besitz einer We i namphore rang, deren Inhalt sich dabei in kräftigem Schwall in eine tiefer gelegene Muschel ergoß.
Simon beugte sich über die Schale und ließ sich das sprudelnde Wasser in den aufgerissenen Mund spritzen.
Aus den Arkaden vor dem Hauptsaal drang noch Licht, ungewöhnlich um diese Zeit,
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