Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
Tataren, die ja keine Städte haben. An der Küste folgten dem ruhmreichen Tripolis die Berge der Assassinen, das altehrwürdige Patriarchat von Anti o chia, um dann bei den Armeniern, denen man nicht trauen kann, noch einmal die Landmasse von Asia Minor ins Meer stürzen zu lassen. Wie ein Fischlein schwamm Cy p rus, die Insel der Aphrodite, in diesem Becken. Die mäc h tige Landzunge der Seldschuken leckte am Bosp o rus am Goldenen Hörn von Konstantinopel, das Schwa r ze Meer nichts als ein großer See, und dahinter wieder das Reich der Mongolenkhane, deren Seidenstraße sich im dunklen verlor.
Im Gewühl der griechischen Eilande erfolgte der Knick zur Mittelfläche, es ging nun über Achaia und Epirus die dalmatinische Adria aufwärts. Dem alten Byzanz, nun ein brüchiges »lateinisches« Kaiserreich, folgte Ungarn, und das Auge des Betrachters geriet beim in Vergessenheit g e ratenen Patriarchat von Aquileja in den Bann der Sereni s sima. Nach Süden im blauen Mittelmeer hing der umstri t tene Stiefel Italien, am umgekrempelten Stulpen die Lo m bardische Liga des Reiches, um die Wade das ve r rutschte Strumpfband des Patrimonium Petri mit Roma Aeterna, caput mundi , als glänzende Schnalle, juwelenverziert, da r unter die apulische Ferse, das neapolitanische Schienbein, der Calabreser Rist des verhaßten Stauferimperiums, de s sen Spitze das Königreich Sizilien wie einen lä s tigen Stein zu treten schien. Weiter oben tanzten Sardinien und Kors i ka im Machtbereich der genuesischen Wellen. Doch z u rück, hinauf in den Norden! Nach Überquerung der Alpe n kette folgten gen Osten die Herzogtümer von Schw a ben, Bayern und Österreich, danach die Königreiche von Bö h men und Polen – und dahinter immer noch das wüste Ste p penland der Mongolen, die sich hier ›Goldene Horde‹ nannten. Ein Reich ohne Maßen, man mag grad ’ froh sein, daß die Flächen der Mappa Mundi seine Ausdehnung nicht erfassen können! Im Norden die Inseln der Dänen und W i kinger im Eismeer, über das Gebiet der Sachsen wechselt der unsichtbare Riesenfinger, den Rhein überquerend, zur Westwand.
Er gleitet über Lotharingien und Flandern nach Fran k reich hinein, bis nach Paris. Jenseits des normannischen Kanals der gekrümmte Klumpen England, in stetem H a der mit dem bok-kigen Irland, dem stolzen Schottland. Die Bretagne gen Süden verlassend, das minnigliche Aquit a nien, das ketzerische Tolosa, über die Pyrenäen hinweg ins christliche Aragon, bedrängt vom allerchristlichen Kast i lien, während sich in El Andaluz das islamische Kalifat der Almohaden behäbig ausgebreitet hat.
»Eines Tages wird die eiserne Faust unserer reconquista diese Mohrenköpfe genau bei Gibraltar wieder aus Iberia quetschen, wie zuckrigen Eierschaum aus dem Spitzbe u tel, und das Wort ›Christus‹ in feinen Lettern auf ihre San d wüste schreiben!«
Der sich solchermaßen begeisternde Franziskaner auf der Leiter war ein untersetzter Glatzkopf, in dessen teig i gem Gesicht ein wasserblaues Augenpaar schwamm. Er hatte die stark hervortretenden Backenknochen der östl i chen Marken des Reiches, wo die Mission der Minoriten ihre eifrigsten Gefolgsleute rekrutierte.
Benedikt von Polen steigerte sich in eine seltsame M i schung von Heidenhaß und Freßtraum.
»Hör zu, Lorenz«, wandte er sich an seinen schmächt i gen Mitbruder, »und hör auf, dir die Finger zu schlecken!« Ihn ärgerte es, sich veralbert zu sehen. »Denn es wird Blut sein, daß wir aus ihnen pressen werden, es wird in der Hi t ze gerinnen, und sie werden daran ersticken, sie werden verdursten, weil ihre Brunnen vom Irrglauben vergiftet sind, sie werden verhungern, weil sie das Herz des He i lands nicht …«
»Bruder«, belächelte ihn von der Höhe des Gerüsts der mit ›Lorenz‹ Angesprochene, »du solltest ein Stück Brot aus deinem Sack beißen, ehe du dir den Leib unseres Herrn als Sonntagsbraten vorstellst!«
Benedikt erblickte, sich umwendend, den Fremden zw i schen den Säulen, der schweigend die Weltenkarte st u diert hatte, ohne ihnen ein »Pace e bene!« oder sonst einen Gruß zu entbieten. Vitus war hierher bestellt; er war zu früh g e kommen und wurde prompt bestraft, indem er das G e schwätz dieser Minoriten über sich erg e hen lassen mußte; denn nun fühlten sich beide angehalten, den schweigsamen Gast zu unterhalten, gerade weil er sich ’ s anmerken ließ, wie wenig Wert er darauf legte.
Benedikt hatte inzwischen seinen Mitbruder auf dem schwankenden
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