Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
Kette abzunehmen. Sie legte sie an und lief zum Bottich, doch der war zu hoch, um sich darin spiegeln zu können.
Roç wartete brav mit geschlossenen Augen im Halbdu n kel der Arkaden und fröstelte leicht. Ein Tritt von Yezas nacktem Fuß in die Kniekehlen ließ ihn taumeln, weckte aber seinen Widerstand; sie gerieten ins Handgemenge, stürzten beide zu Boden. Roç blieb keuchend Sieger. Sie lagen aufeinander und lauschten ihrem Atem, ihrem Her z schlag.
»Und jetzt?« fragte Roç.
»Jetzt ist Morgen, der Kaiser verläßt die Braut nackt –«
»Brautnacht! Du lernst es nie!«
»Jetzt ziehen wir uns wieder an«, sagte Yeza, »und m a chen Clarion eine Freude!«
»Wir pflücken ihr einen Brautstrauß!«
Kurz darauf plünderten sie einträchtig die Blumenbeete.
Clarion, die die graugrünen Augen der Gräfin auf sich ruhen oder mehr wie eine Ohrfeige brennen fühlte, hatte sich sofort sittsam aufgerichtet, als die beiden Ritter sich zu ihr gesellten.
Sie war sich nicht schlüssig, welchem sie den Vorzug geben sollte. Konstanz von Selinunt war sicher der stattl i chere; er war jünger, drahtig, hatte etwas Raubtierha f tes, das ihr Blut reizte, aber auch alarmierte. Außerdem tat er so, als sei sie noch ein kleines Mädchen, eines von vielen, die so ein schöner Edelmann haben konnte, wenn er nur mit dem Finger schnippte.
Crean war da ganz anders. Er war nicht schön, hatte ein vernarbtes Gesicht, sein Haar zeigte an den Schläfen schon leichtes Grau. Er ging gebeugt und hatte wohl schon viel Leid gesehen. Seine Frau sei ihm gestorben, hieß es. Er war still und hörte ihr zu, ohne ihr das Gefühl zu geben, daß sie nur dummes Zeug plapperte. Und sie spürte, daß er sie b e gehrte.
»Holde Maid«, eröffnete Konstanz den Reigen; er spie l te mit ihr wie mit der Laute in seiner schlanken Hand, »dein Mund schimmert durch das Laub wie eine letzte ungep f lückte Kirsche, doch es ist dem Perlensaum deiner weißen Zähne selbst bestimmt, die reife Frucht zu zerbe i ßen!«
Clarion richtete ihren Blick fest auf Crean, als sie an t wortete – bemüht, sich nicht zu blamieren.
»Leicht ist es dem Falken, von oben herab zu spotten, er kreist und fliegt, wohin und wann er will. Die kleine Ki r sche kann sich nicht vor seinem Blick verstecken – seien es der Blätter noch so viel. Sie kann nicht fliehen. Sie muß warten, bis einer sie pflückt oder der Wind sie vom Baum schüttelt – sie kann sich nicht selber küssen!«
»Ihr seid ein bemerkenswertes Geschöpf, Clarion von Salentin«, verneigte sich Crean vor ihr. »Ich wollte, ich könnte Euch –«
»Nehmt Euch in acht!« warnte Konstanz schnell. »Denkt den Satz nicht zu Ende und erhebt Euren Blick nicht nach oben! Die Hüterin des Kirschgartens steht über Euch, den blitzenden Speer wurfbereit in kampferprobter Hand!«
In der Tat war auf dem Söller Laurence wie eine fei n fühlige Eidechse an den Rand der Brüstung geschnellt, als sie die beiden Ritter sich ihrer Ziehtochter nähern sah. Cl a rion schlug die Augen nieder und lächelte Crean nur ve r stohlen ihren Dank.
»Ihr seid eine Dichterin von hohem Rang, ich wünschte mir, ich hätte die Gabe, meine geheimsten Regungen in so traurige Worte zu fassen, wie Tautropfen schmiegen sie sich an die einsame Kirsche –«
»Wie Tränen um ihren einsamen Mund! Crean, Ihr seid auch nicht schlecht«, spottete Konstanz, und sein offenes Lachen löste die Spannung. Die smaragdenen Augen der Wächterin waren verschwunden. »Dank unserem Sigbert müssen wir der alten Dame nicht auch noch den Hof m a chen!«
»Mir auch nicht, Konstanz«, empörte sich das Mädchen, »zumal Ihr es nur zum Anlaß nehmt, Euch über mich lustig zu machen! Ach, Crean, helft mir!«
Doch der ist gleich einen halben Schritt zurückgetreten. »Das Leben wird Euch helfen, Clarion, Ihr seid noch jung –«
»Nicht mehr jung genug, um nicht am eigenen Leib Tag und Nacht – vor allem nachts! – den Moderduft zu sp ü ren. Wißt Ihr, wie das ist« – Clarion stampfte heftig auf –, »am eigenen Leibe zu verfaulen?«
»Wenn Ihr mir gestattet«, setzte ihr Konstantin entg e gen, »meinen unzüchtigen Blick auf das zu richten, was ich sehe, und mir erlaubt, an das zu denken, was Ihr mir ve r bergt, kann ich euch versichern, schönste Clarion, Fal l obst sieht anders aus!«
»Oh, ich danke Euch für solchen Trost; aber ich will gern vorher … ach, ich will nicht in das Bett eines alten Ma n nes fallen!«
»Habt nur Vertrauen in das
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